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Wir haben die Ansprachen lediglich namentlich gegliedert, nicht temporär, nicht auf Örtlichkeiten bezogen und nicht auf Prioritäten geachtet. Reger Austausch fand ab und an mit Christel Heybrock (eine Ansprache) statt. Zu Susanne Kaeppele (zwei Ansprachen) ergaben sich mitunter Kontakte bei anderen Ausstellungseröffnungen oder Führungen, z. B. in der Kunsthalle Mannheim. Frieder Brender (eine Ansprache) würden wir gerne wiedersehen, leider fehlen uns die auf die Person bezogenen Zugangsinformationen. Mit Aloisia Föllmer (eine Ansprache) hatten wir texthalber intensiven Arbeitskontakt. Viel Freude beim Lesen der Einführungen, DieRedaktion.
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F R I E D E R B R E N D E R
Einführende Worte zur Eröffnung der Ausstellung „Dosenglück und Tatrablick“ von Franz Bellmann am 12. März 2001 im Kulturtreff Altes Rathaus Feudenheim e. V.
Als ich vor einiger Zeit gebeten wurde, einführende Worte zur Eröffnung der Ausstellung „Dosenglück und Tatrablick“ und zum Künstler Franz Bellmann hier bei uns in Feudenheim zu sagen, habe ich mich sofort an meine erste Begegnung mit Franz Bellmanns Dosenglück erinnert.
1995, am 12. Juli genau, rief Franz Bellmann im Mannheimer Jungbusch zum ersten Anti-Dreck-Tag auf, zu einer Performance ganz besonderer Art: http://franzbellmann.de/?p=3457
Hinter einem Dosensarkophag, der aus exakt 1001 Dosen bestand, die alle ihre eigene phantastische Geschichte mitbrachten, demonstrierten eine Menge von Kindern, die Schule, Kindertagesstätten, das Gemeinschaftszentrum und wir Lokalpolitiker als Dosenmenschen gegen die gesellschaftliche Entwertung der Dose. Natürlich sammelten wir die Dosen am Strassenrand, auf dem Kinderspielplatz, im Hafen auf und führten sie einer neuen Bestimmung zu.
Wir machten alle die Dosen, die wir fanden, glücklich. Sie hatten ihre materielle Existenz verloren, und erhielten durch ihre Beteiligung an dieser oder einer anderen künstlerischen Aktion eine neue, sinn-hafte Bestimmung.
Vielleicht stehen einige vor ihnen jetzt in den Stelen auf unserem Rathausvorplatz.
Seit über zehn Jahren arbeitet Franz Bellmann an dem Projekt Dosenglück.
Ende der achtziger Jahre, nachdem Franz Bellmann seine berufliche Existenz an den Nagel gehängt hatte und sein Atelier und seinen Lebensmittelpunkt in die Westliche Unterstadt nach Mannheim verlegte, ergänzte es seine Malerei durch diese Form der Projektkunst:
Künstlerische Auftritte im öffentlichen Raum, Happenings und Performances auch zur Finanzierung seiner gesellschaftlichen Verwertungsideen als Ausgangspunkt neuer Kreativität.
„Er wolle jetzt den Menschen ihren Müll verkaufen“, meinte dereinst eine treue Sammlerin seiner figurativen Ölbilder.
Seine Arbeits- und Lebensgefährtin formulierte dies in einem Vorwort zur Ausstellung „Terra Deponia“ in Worms so: „Franz Bellmann erzeugte für sich eine „Hans im Glück“-Situation, und der permanente Wechsel und Wandel im Werk…fand im Laufe der Jahre eine zentralperspektivische Vereinigung, um in Dosenstelen, Skulpturen und Müllbildern zu kulminieren.“
Die Dosen, der Müll werden aus den Winkeln und unter den Sträuchern hervorgeholt; den Menschen wird ihr Dreck und Abfall vor Augen geführt.
Zwangsläufig erwachsen daraus Forderungen an die Gesellschaft und die Politik. Die Forderungen nach einem Verbot von Dosen oder mindestens der Einführung eines Dosenpfandes. Franz verstand es auch immer, die bürokratischen Institutionen und die politischen Akteure zu einem Teil seiner Performances zu machen.
Die heutige Performance, meine Damen und Herren, muss wahrscheinlich nicht eröffnet werden, sie hat schon begonnen. Die Begrüssung durch Christine Schäfer, die Rede vom Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland Jürgen Trittin, seine Ankündigung, dass Pfand auf Dosen eingeführt wird, meine Worte und ihre Anwesenheit sind vielleicht schon Teil der künstlerischen Aktion.
Vielleicht gehören sogar die vorbereitenden Arbeiten, die Anmeldung der Ausstellung, die gemachten Erfahrungen im Umgang mit den Behörden, zur gesamten Performance, zumal die Provokation in Dosen bei verschiedenen Institutionen durchaus Wirkung entfaltet. So musste Franz Bellmann seine Ausstellung in Worms früher als geplant abbauen, weil sich Lokalpolitiker durch den „Dreck im Stiftshof“ angestossen fühlten.
Sicher ist – um auf die Frage von Christine Schäfer eingangs zur Zukunft des Dosenglücks zu kommen – es schliesst sich mit der Ausstellung hier in Feudenheim ein Kreis im künstlerischen Schaffen Franz Bellmanns. Dennoch, mit seiner ihm eigenen Ironie und seinem hintergründigen Lächeln lässt uns Franz mit der von mir jetzt formulierten Betrachtungsweise allein. Aber in seinem Lächeln finden wir den Bogen, der sich über die beiden Teile der Ausstellung spannt. Nicht nur in seinen Dosenskulpturen, fast noch mehr in seinen Bildern, versucht uns Franz Bellmann den Blick hinter das vordergründig Sichtbare zu öffnen, als Bedingung für die Fortentwicklung der materiellen Existenz in die der Vorstellungskraft.
Die Phantasie, die wir entwickeln, wenn wir im Sommer im Gras auf dem Rücken liegen und in die Wolken schauen, die Reiter, die wir entdecken, die Gesichter in den Wolken, dies ist der Tatrablick. Am eindringlichsten erfahren wir diesen Blick in den malerischen Arbeiten von Franz Bellmann, von denen hier 25 Bilder seines nunmehr über 2000 Arbeiten umfassenden Werkes ausgestellt sind.
Der Malgrund der meisten hier ausgestellten Bilder besteht auch wieder aus Restmaterial. Die Restrolle Papier, die beim Zeitungsdruck nicht mehr verwendet werden kann, findet bei Franz Bellmann künstlerische Verwendung. Das Papier wird mit Dispersionsfarbe eingeschlemmt und dreilagig übereinander zusammengeklebt. Durch Zusammenschieben der einzelnen Lagen entsteht ein – wie Franz es nennt – Schrumpelpapier. Nachdem dieses Papier getrocknet ist, hat Franz eine reliefartige Malunterlage, die ihn zur farbigen Entwicklung seiner figurativen Ölbilder inspiriert. Ausgangspunkt seiner Arbeit bildet also der Tatrablick auf dem Schrumpelpapier. Aus diesem Tatrablick heraus entsteht der Farbauftrag der abstrahierend gemalten Ölbilder, wie wir hier sehen.
Bevor ich nun das Wort zur Eröffnung der Ausstellung wieder an Christine gebe, möchte ich mich – ich denke im Namen von uns allen – bei denen bedanken, die diese Ausstellung und die heutige Eröffnung hier in Feudenheim ermöglicht haben, bei den Mitgliedern des Kulturtreffs Feudenheim, bei May-Britt Hiemenz und Christine Schäfer, auch bei Jürgen Trittin, der zur Eröffnung hierher gekommen ist, bei Rose Michel, die die Einladungen gestaltet und verschickt hat und natürlich bei Franz Bellmann und seinen glücklichen Dosen.
Hoffentlich nehmen viele Feudenheimer und Feudenheimerinnen die Aktion auf dem Rathausplatz zum Anlass, hier in die Räume zu schauen, ich denke es lohnt sich.
Fürs Dosenglück wünscht sich Franz, zumindest kenne ich ihn so, folgende Reaktion der Feudenheimer und Feudenheimerinnen:
Beifall ist nicht notwendig, Nachdenken genügt!
Frieder Brender
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A L O I S I A F Ö L L M E R
Text Einführung zur Ausstellungseröffnung „Grosse Papiere“ am 18. Januar 1992 bei Gasser Computer Consulting & Training GmbH
Meine Damen und Herren,
ich begrüsse Sie herzlich zur Auseinandersetzung mit einem Künstler, der sich seit 1986 seinen Weg in der Kunst gesucht hat.
Geboren 1946 im Bayrischen Wald, wuchs Franz Bellmann in Karlsruhe auf, machte dort das Abitur und studierte Bautechnik am Technikum in Karlsruhe mit dem Schwerpunkt Schweisstechnik. Er arbeitete ca. acht Jahre bei BBC im Bereich der Kraftwerkstechnik mit Planungs- und Ausführungsüberwachungsfunktionen.
Franz Bellmann, der schon während seiner Berufsausbildung ein Atelier geführt hatte, entschloss sich, nachdem er sich für einen gewissen Zeitraum einen finanziellen Rückhalt zugelegt hatte, für die freie künstlerische Tätigkeit.
Starkfarbige, ja ich möchte sagen aggressivfarbige Arbeiten kennzeichnen seine Anfangsphase. Er verwandte sowohl die Pinsel als auch die Rolltechnik. Diese zuletzt genannten Werke, mit Walze, Schablone und Farbe hergestellt, unterscheiden sich in ihrem unterkühlt-glatten, ästhetisierten Erscheinungsbild von den Arbeiten, die Sie heute hier erleben können. Kennzeichnend für den Autodidakten Bellmann ist die kreative Auseinandersetzung mit der klassischen Moderne zu Beginn dieses Jahrhunderts.
Eine der Bezugsquellen der heute zu sehenden Bilder ist der Kubismus. Die kubistische, oft brutal wirkende Manier der Aufsplitterung der Objekte wird von Bellmann in malerisch-spielender Variante angewandt.
Im liegenden, blauen, weiblichen Akt dominieren runde, organische Formen zu den eckig-kleinteiligen der Augenpartie. Inhaltliches und Formales decken sich in den Werken Bellmanns. So erhält der Akt des Ruhens durch die vorwiegend geschwungenen Formen eine Dynamik, die dem Aspekt der Muße nur scheinbar widersprechen. Nach Henri Matisse ist die Muße oder die Meditation die höchste Aktivität im Geiste. In diesem Sinne gehen die aktiven Formdynamismen eine eindrucksvolle Symbiose mit der Farbe Blau der Farbe des Geistigen ein.
Die Zerlegung eines hochgezogenen Frauen- bzw. Männerkörpers einmal in Grün, das andere Mal in Braun ist fast als klassisch im kubistischen Sinne zu bezeichnen. Die grazile Leichtigkeit der Linienführung sowie die spontan-assoziativ gefundenen Formen ergeben eine stilisierte Rhythmik, die die Nähe zur ästhetischen Überhöhung auf der einen Seite und zu leichter Komik auf der anderen Seite suggerieren. Es lohnt sich einen genauen Blick auf die technische Darstellung zu werfen.
Der leicht dumpfe Gesamtklang dieser Arbeiten erfährt eine Durchbrechung durch die absichtsvolle Betonung des Kontrastes zwischen der schwarz vibrierenden Bleistiftlinie und dem hellen Malgrund. Dieser begleitet also die Zeichnung in Form von markanten Helligkeitsspuren.
Das Thema bedrohlicher Gegensätze und Spannungen greift Bellmann im Werk mit dem Titel „Mann und Frau“ auf. Überdimensional im Vergleich zur Darstellung des Mannes wirkt die sitzende Frauengestalt, die nach kubistischer Manier doppelgesichtig ist. Lediglich ein rundes Ballongesicht unter ihrem aggressiv-harten Arm sowie die lineare Andeutung eines Körpers markieren den Mann. Die apparatehafte Frau, die wie verschmolzen wirkt mit dem Sessel, scheint alle Macht und Kraft zu besitzen. Kontrastive Elemente kennzeichnen sie wie auch die Frauendarstellung mit dem Titel „Die schöne Cyklopaia“. Es sind Kontraste wie Melancholie und Aggression, Maschinenhaftes und Figürliches, die sich auf diesen Werken die Waage halten. In der formalen Ausgestaltung finden diese Gegensätze ihre Entsprechung im Wechselspiel organischer sowie geometrischer Formen.
Nie dominiert das Aggressive, das Düstere in den Werken Franz Bellmanns. Trotz aller drastischen Aussagen verliert er nicht den Sinn für die Geschlossenheit des Bildausdrucks, eine Tatsache, die ich mir mit seiner gezielten Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte erkläre. So ist auch das Liebesgespräch zwischen der an Picasso-Figuren erinnernden Frau und dem Vogel trotz aller farblich-formalen Gegensätze von bestechender Ausgewogenheit.
Einigen heute zu erlebenden Werken haftet eine naiv-poetische Ausstrahlung an. Aber die farblich reizvolle Wirkung der Bilder kaschiert den Ausdruck latenter Bedrohung. Im Bild „Der Lauscher an der Wand“ beabsichtigt Franz Bellmann eine Anspielung auf die Bespitzelung der ehemaligen DDR Bürger durch die Stasi. Und so sehen sie als Schlüsselfigur den zentralen Kopf mit dem ausgefahrenen Beobachtungsgerät. Gesichter bestimmen das Bild, überall tauchen diese eckig-unmenschlichen, meist rasterförmigen Köpfe auf. Sie werden zu Symbolen der Bedrohnis. Wirklichkeit wird in ihrer Doppelbödigkeit entlarvt.
Bellmann präsentiert ferner Werke, die in der Abwendung von der naturalistischen Farbgebung sowie im Spontanen des oft schlierenhaften Farbauftrags in der Tradition der expressionistischen Kunst stehen.
Das Ölbild „Tanz fünftausend vor der Wende“ ist als Rückblick auf die 1982 erhoffte politische Wende zu verstehen. Die Dominanz der aufreizenden Farbe rot, in Verbindung mit der ekstatischen Tanzbewegung ist Ausdruck der emphatischen, auf die Wende bezogenen Erwartungen.
Meine Damen und Herren, auch wenn man diese Darstellungsabsicht des Künstlers nicht kennt, empfindet man die Farbintensität, die in Verbindung mit der Deformation des Körpers für ein übersteigertes Lebensgefühl steht.
Diese „wilde“ Arbeit ist Zeugnis eines in der Glut der Farbe hervorbrechenden Gefühls. Die Darstellung der Büglerin dagegen verweist allein in der Verwendung der dem Geistigen zuzuordnenden Farbe Blau sowie durch die Körperhaltung auf Verinnerlichung.
An diesen Arbeiten ist nachzuvollziehen, dass von Franz Bellmann Farbe nach expressionistischer Manier pastos als Farbmaterie eingesetzt wird. In der Abwendung von aller naturalistisch-abbildenden Farbgebung erreicht er den Ausdrucks- und Gefühlsgehalt der Bilder.
Die „Dame mit Jojo“ verkörpert in ihrer drallen Nacktheit und mit ihren erotischen Attributen der roten Brustwarzen und dem übergrossen roten Mund die gefährliche femme fatale. Ihr Jojo entlarvt sich auf den zweiten Blick als mittelalterliche Waffe.
Die unverhohlene Erotik der Akte Franz Bellmanns verbindet seine Kunst mit dem Expressionismus. Der kraftvolle männliche Akt aus dem Jahre 1990 steht in seiner archaischen Ausstrahlung konträr zum weiblich-zarten Gegenstück, dem Akt „Nevermore“. Diese Hommage an Gauguin bedeutet im wahrsten Sinne des Wortes eine Verkehrung von Gegebenem. Bellmann drehte den Akt einfach um. Zu sehen ist also der Öldurchschlag, die Rückseite, deren pastellige Tonalität zwischen zartem Buttergelb sowie hellen Grün- und Grautönen anzusiedeln ist. In der Zartheit seiner Farbgebung bedeutet dieser weibliche Akt eine weitere Umkehrung zu den intensivfarbigen Südsee-Werken Gauguins bei Beibehaltung eines zentralen gauguinschen Themas, nämlich der weiblichen Erotik.
Den wilden Arbeiten ist ferner das Fragmentarische gemein. So liegt im Unvollkommenen die Aussagestärke des sitzenden männlichen Aktes mit dem überbetonten Geschlechtsteil. Sein Ober- und Unterkörper bildet die Form eines Stundenglases, sein Leib ist mehr Gerüst als Körpersubstanz. Ausgehöhltes, sinnentleertes Dasein seiner Hinfälligkeit sowie die Macht der Erotik auf der anderen Seite sind die Gegenstände auf die das Werk reflektiert. Implizit spielen die Arbeiten damit auf die fundamentalen Gegensätze des Lebens schlechthin an, auf Eros und Tod.
Fast alle hier zu sehenden Arbeiten sind mit Hilfe von Spachteln verschiedener Breite hergestellt. Dadurch ergibt sich ein pastoser Farbauftrag, der den Bildern einen rudimentären, fast archaischen Charakter verleiht. Es sind Arbeiten, die in ihrer mehrschichtigen Anlage stets unter der Oberflächenfarbe ein anders farbiges Darunter erahnen lassen. Der Reiz dieser Bilder liegt im Wechselspiel von dichter Farbmaterie einerseits und ihrem teilweise brüchig wirkenden Farbcharakter andererseits, denn Bellmann schabt die vorhandenen Farbpartien im halbnassen Zustand mit der Spachtel ab.
Die Farbe wird zum Thema, der Gegenstand entschwindet immer mehr. Doch selbst die abstraktesten Arbeiten lassen stets das Motiv erahnen. Im grünfarbigen Figurenbild sowie im Werk mit dem Titel „Schweißtuch“ ist der Gegenstand vorhanden, obwohl er sich gleichsam unseren Blicken entzieht.
Mit diesen beiden Darstellungen wird möglicherweise der Mensch als Bildmotiv hinterfragt. Die Forderung Max Frischs „Du sollst Dir kein Bildnis machen“ drängt sich mir auf. Sowie im Werk mit dem Titel „Schweißtuch“ lediglich nur Spuren des Individuums zurückbleiben, so entzieht sich jedes Bildnismachen jeglicher Erfassung der Gesamtpersönlichkeit.
Bellmann geht damit auf die Schwierigkeit ein, die für den Künstler im Porträtieren liegt. In diesem Zusammenhang sind für ihn folgende Worte Rudolf Hausners über das Porträt bedeutsam geworden:
„Aber einmal passiert es, dass ich vor ihm stehe und nicht vorbei kann. Er bittet mich, sein Porträt zu malen und stellt mir die Frage: Wenn Du mich malst, malst Du dann mich oder Dich? Ich erwidere: Ich werde uns beide malen.“ Hierin können wir eine der Ursachen für die Auflösung der äußeren Realität in den Arbeiten Franz Bellmanns erkennen. Die äussere, faktische Realität, die sich damit als die nicht allein existente Form der Wirklichkeit entlarvt.
Im Schwebezustand zwischen objektiver Realität und subjektiver Aneignung der Wirklichkeit, zwischen Gegenständlichem und Abstraktem drückt sich in den Arbeiten Franz Bellmanns das Spannungsverhältnis von Realem und Irrealem, von Traum und Wirklichkeit aus. So sind seine Arbeiten Ausdruck der polaren Spannungen des Lebens, wobei die Diskrepanz zwischen Ich und Welt aufgrund persönlicher Lebenserfahrungen zu einem vitalen Motor seiner Malerei wird.
Textende
Es folgt eine Übersicht der 1992 bei CC&T GmbH ausgestellten „Grossen Papiere“, DieRedaktion.
„Tanz fünftausend vor der Wende“, WVZ 4, 90 cm x 60 cm, 09.90, Öl/Papier/Spachtel, Privatbesitz Karlsruhe.
„Liebesgespräch“, WVZ ?
„Mann in Grün“, WVZ 61, ohne Daten, Privatbesitz Weinheim.
„Die schöne Cyklopaia“, WVZ 62, keine Formatangaben, 07.91, Öl/Papier/Spachtel, Privatbesitz Weinheim.
„Die Büglerin“, WVZ 68, 90 cm x 60 cm, 09.90, Öl/Papier/Spachtel, Privatbesitz Weinheim.
„Der Lauscher an der Wand“, WVZ 75, 60 cm x 90 cm, 11.90, Öl/Papier/Spachtel, Privatbesitz Mannheim.
„Akt, männlich“, WVZ 76, 60 cm x 90 cm, 09.90, Öl/Papier/Spachtel, Privatbesitz Mannheim.
„Studie über eine glückliche Schmusekuh“, WVZ 114, Rahmenformat 70 cm x 100 cm, 07.91, Öl/Papier/Spachtel, Privatbesitz Mannheim.
„Spaziergang“, WVZ 1409, Bildformat 85,5 cm x 58 cm, Blattformat 88 cm x 63,2 cm, Rahmenformat 100 cm x 70 cm, 09.90, Öl/Papier/Spachtel.
„Dame beim Jojo“, WVZ 1509, Bildformat 80,7 cm x 57,5 cm, Rahmenformat 100 cm x 70 cm, mit Passepartout, 09.90, Öl/Papier/Stift/Spachtel/braun poliert.
„Mann mit angeschwellter Wurzel“, WVZ 1523, Bildformat 81,2 cm x 49,4 cm, Rahmenformat 100 cm x 70 cm, mit Passepartout, 05.91, Öl/Papier/Stift/Spachtel/rot poliert.
„Beobachtende“, 07.91, keine weiteren Daten.
„Ruhende“, WVZ 1532?, 01.91, keine exakten Daten.
„Mann und Frau“, WVZ 1392?, 04.91, keine exakten Daten.
„Torso“ (grünlich), keine Daten.
„Torso“ (bräunlich), keine Daten.
„o. T.“, keine Daten.
„o. T.“, Stadtansicht, keine Daten.
„Nevermore“, keine Daten.
„Schweißtuch“, keine Daten.
Wir forschen weiter, DieRedaktion.
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C H R I S T E L H E Y B R O C K
Text Einführung zur Ausstellung „Dosenglück und Malerei“ zusammen mit der Gruppe DaMaKa in der Rathaus-Galerie der Stadt Mannheim vom 01.02.-01.03.1996
Meine Damen und Herren,
unübersehbar sind wir in der Fasnachtssaison. Wer überzeugt ist, diese Jahreszeit zeichne sich dadurch aus, dass einfach mal alles kopfstünde und die Narren – anders als sonst – die Welt regierten, der irrt gewaltig. In der Fasnacht zeigt vielmehr die Welt, die nämlich normalerweise verkehrt ist, vorübergehend ihr wahres Gesicht. Die Maske wird ihr nicht aufgesetzt, sondern vielmehr heruntergerissen. Niemand von uns hielte diesen Anblick aus, wenn er nicht kurzfristig und nach überschaubarer Zeit wieder vorbei wäre.
Meine Damen und Herren, hier hat es gescheppert, und hier wird es scheppern. Zwanzigtausend Dosen hat Franz Bellmann in diesem ansonsten seriösen Hause untergebracht, ganz zu schweigen von dem Gewicht des Gewandes , in dem er sich Ihnen selbst vor Augen führt. Dreiviertel Stunden, so bekannte er mir, könne man die zwölf Kilo, sprich bis zu 800 Dosen auf Helm und Mantel aushalten, aber so lange will ich ja nicht
reden. Ich stelle nur die Frage, ob Franz Bellmann womöglich zu den Obernarren gehört mit dieser Verkleidung. Er beschränkt sich schliesslich nicht auf die Fasnachtssaison damit, sondern hat in ähnlicher Aufmachung und zu normalen Zeiten die Passanten auf den Planken, in der Heidelberger Hauptstrasse oder am Basler Tinguelybrunnen, aber
auch die Besucher des Wormser Tiergartens sowie einer Darmstädter und der Galerie Hartmannstrasse in Ludwigshafen beeindruckt, ganz zu schweigen von seinen Dosenplattfahraktionen (deren Ergebnis Sie hier in Form der Dosenstelen sehen können), von Dosenspaziergängen und Umzügen unter anderem im Mannheimer Jungbusch: Schon 1993 haben unsere Stadtväter gemerkt, was sie an diesem hartnäckigen Narren hatten und ihn mit einem Umweltpreis ermutigt.
Es ist ja nicht viel, was einen Künstler von einem Narren unterscheidet: Beide halten der Welt einen symbolischen Spiegel vor und zwingen sie, selber mitunter vor Verzweiflung kichernd, endlich mal hinein zu sehen. Und zum Lachen ist das fast nie, was als Erkenntnis, als nur zu genaues Wiedererkennen dabei herauskommt. Die Vorraussetzung dieser vorgeblichen Possenreißereien ist weniger ein unerschütterlicher Hang, die Dinge leicht zu nehmen, als vielmehr die Distanz zu ihnen. Deshalb, meine Damen und Herren, die unverblümte Frage an Sie: Wann haben Sie die letzte Getränkedose ausgeschlürft und gedankenlos weggeworfen (hoffentlich wenigstens in den gelben Sack)?
Oder hätten Sie jemals, und zwar unter einschneidender Korrektur Ihres Konsumverhaltens, darüber nachgedacht, welche unglaubliche Energie- und Ressourcenvergeudung dem Griff ins Dosenregal vorausgeht? Und auch darüber nachgedacht, was dem Ex – und – hopp – Mechanismus folgt? Wo in aller Welt denn die Millionen Dosen bleiben sollen, nachdem die Mülldeponien bekanntlich überfüllt sind und das Aluminiumrecycling fast ebenso umweltschädlich und luftbelastend (auch Ihre Atemluft belastend) ist wie die Aluminiumherstellung? Nein, darüber haben Sie nicht nachgedacht, und Sie verspüren auch keine Lust dazu, weil Sie nicht so negativ und destruktiv denken wollen?
Sehen Sie, mitunter ist es schon verblüffend, wie verdreht die ganz normalen Verhältnisse sind: Das Nachdenken über den täglichen Ressourcenmißbrauch ist ja nicht destruktiv. Man empfindet es aber so, weil es einen in seiner blinden, gedankenlosen Vitalität behindert. Nach irgendeinem verhängnisvollen biologischen Gesetz kommt uns gerade diese Gedankenlosigkeit ganz phantastisch vor, und bestärkt werden wir noch dadurch, dass wir ja Gottseidank nicht sehen, wie die Dosenberge und all der andere Müll irgendwo wachsen. Wir lesen das manchmal in der Zeitung oder hören es als kurze Meldung im Fernsehen, bevor der Krimi oder die Talkshow anfangen. Wir akzeptieren diese Informationen ja geduldig, wozu haben wir schliesslich Politiker gewählt, die das gefälligst in den Griff kriegen sollen? Die Deponien wachsen jedenfalls nicht vor unserem Wohnzimmerfenster, das wäre ein Skandal, der Folgen bei der nächsten Kommunalwahl hätte.
Meine Damen und Herren, wenn ich über unser aller kindische Kurzsichtigkeit nachdenke mit der Distanz der Narren und Künstler, dann kann ich fast nicht glauben, was doch alltägliche Wirklichkeit ist. Das Sehen also, die augenfällige Erscheinung fehlt uns, um Fehlverhalten zu korrigieren? Nun, dann sehen Sie hier einfach mal hin, auf diesen verschwindenden Bruchteil einer Materialvergeudung, die ihren Sinn in nichts anderem als in den fünf Minuten hat, die man jeweils braucht, um eine Bierdose zu leeren. Zwanzigtausend Dosen, so gigantisch diese Zahl auch klingt und so voll damit das Atelier Franz Bellmanns wurde, sind ja ein Klacks gegen das, was täglich allerorten dazu kommt und in der Industrie weiter produziert wird. Ging in früheren Zeiten die Kunst ahnungsvoll und manchmal fast visionär den Verrücktheiten der Wirklichkeit voraus, so kann sie heute nur noch mit einem Bruchteil dessen, was Realität ist, hinterherkeuchen. Das, was wir angerichtet haben, ist unser eigenen Erkenntnisfähigkeit längst über den Kopf gewachsen.
Die Position der Narren wie der Künstler diesem Sachverhalt gegenüber ist ein trotziges Dennoch, und es ist der einzige Standpunkt, der uns vielleicht noch retten kann. Das klingt unzeitgemäss, aber welche Verdrehungen hat der Zeitgeist nicht schon hervorgebracht! Dass Künstler heutzutage zur kritischen Erkenntnis und nicht zur Wanddekoration über der Wohnzimmercouch beitragen, es ist völlig altmodisch und ebenso närrisch wie selten geworden. Vor dreissig Jahren, ja, damals lag so ein Anspruch voll im Trend. Nur: vom Trend hat damals niemand gesprochen, es war Betrachtern und Schöpfern klar, dass es um Grundsätzliches und nicht um etwas ginge, was man heute vertreten und morgen vergessen könne. Franz Bellmann hat damals noch Soziologie, Politik und dann 1970 Bautechnik studiert, und es dauerte bis 1985, dass er den Brotberuf an den Nagel hängte und die enormen Risiken einer freien künstlerischen Tätigkeit auf sich nahm – noch dazu einer Tätigkeit, deren Ergebnisse sich ja nicht einfach in klingende Münze umwandeln lassen, denn seine Dosen-Installationen kann man nicht kaufen. Er hat, kunsthistorisch gesehen, eine Tradition kritischer Avantgarde wieder aufgegriffen und weitergeführt, deren Vertreter fast von der Szene verschwunden sind: Man kann Aktionskünstler wie HA Schult und den Ihnen allen wohl bekannten Verfremder Otto Dressler dazu rechnen, um die vielen anderen, die damals unerhörterweise die Wirklichkeit im Kunstwerk analysierten , ist es still geworden.
Umso grösser Franz Bellmanns Mut, sich mit dieser Perspektive erneut zu Wort zu melden, und zwar nicht nur mit ironisch arrangierten Dosengebirgen, sondern auch mit Müllbildern,
in denen Sie bei genauerem Hinsehen so manchen vertrauten Gegenstand entdecken, Putzlappen zum Beispiel, Kronenkorken, Zigarettenschachteln, Milchtüten. Die Kunst Franz Bellmanns besteht darin, uns aufs Glatteis zu führen mit kunsthistorischen Konventionen. Da ist das jahrhundertealte Tafelbild, das bei ihm zum Materialbild wird und achtlos Weggeworfenes in ganz neuem Licht erscheinen lässt. Da sind die Stelen und Girlanden aus Dosen, Motive, die sich in der Menschheitsgeschichte Jahrtausende zurückverfolgen lassen.
Stelen gibt es bereits in der Steinzeit und im alten Babylon. Die Girlande wanderte vom flüchtigen Zierrat aus Zweigen und Blumen, mit denen Fürsten und Könige begrüsst wurden, sogar in die Architektur, indem man sie als Dekormotiv in Stein gehauen benutzte. All diesen konventionellen Errungenschaften gibt Franz Bellmann einen neuen Sinn, einen neuen Anspruch auf Aufmerksamkeit, indem er als Material das benutzt, was ihm buchstäblich vor die Füsse fällt. Wir haben es weggeworfen, vergessen es, kaum dass es im Abfall oder in der „Wertstoffsammlung“ gelandet ist, und bilden uns ein, es sei dann irgendwie nicht mehr da. Dabei wächst und wächst es zu Gebirgen hinter unserem Rücken, die benutzten Dinge sind dabei, uns einzukreisen.
Kurz, ich wünsche Ihnen, meine Damen und Herren, dass Sie den Anblick des hier ausgebreiteten „Dosenglücks“ und das Geräusch des Schepperns nicht so bald vergessen und dass er sich Ihnen ins Gedächtnis schiebt, wenn Sie morgen Ihren Einkaufskorb im Supermarkt füllen. So phantastisch es hier auch aussieht: Auf den Deponien entsteht etwas anderes als Kunst.
Christel Heybrock
Weitere Informationen siehe: http://franzbellmann.de/?m=201201 aus dem Archiv für den Monat Januar 2012.
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S U S A N N E K A E P P E L E
Text Einführung Franz Bellmann (Konkordienkirche) (2002)
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde,
ich werde nun versuchen, Ihnen eine Einführung in das Werk Franz Bellmanns zu geben. (Er ist übrigens anwesend und freut sich auf Ihre Fragen!) Dazu ist es allerdings nötig, dass ich Ihnen auch über Werke erzählen werde, die Sie jetzt nicht direkt sehen können, sondern erst nach dieser Einführung. Aber da müssen Sie durch!
Schon der Titel der Ausstellung „Dosenglück – Bilder und Objekte“ zeigt, dass Franz Bellmann seit vielen Jahren zweigleisig arbeitet: Er malt, gegenständlich und abstrakt, und beschäftigt sich mit Dosen in vielen Variationen. Er heißt heute gar der Mannheimer Dosenkünstler. Hier sind die Dosenwerke im Garten installiert, die Gemälde in der Kirche.
Beginnen möchte ich mit den Gemälden in der Konkordienkirche selbst. Auf den ersten Blick sehen wir seine großen Gemälde an den Wänden, sie sind auf dünnem Nessel gemalt, hochrechteckig, abstrakt, Farbgewitter. Die kleinen Formate hingegen sind zumeist mit Öl auf Papier gearbeitet, eine eher nicht gebräuchliches, unakademisches Verfahren. Franz Bellmann trägt die Farbe mit dem Spachtel auf, variiert zwischen pastos, also sehr dicker Farbe, und lasierend, ziemlich verdünnt. Ich will jetzt das gerade mal an einem meiner Lieblingsbilder demonstrieren: Es hat keinen Titel, entstand schon 1991 – es hängt an der linken Wand relativ weit hinten und ist mit Ölfarbe auf Papier gemalt. Am Rand erscheinen wie ausgeschnitten unregelmäßige Formen, die in Bleistift nachgezeichnet und ausgefüllt sind. Darunter liegt ein gelber Farbton, aber nur an den langen Seiten des querrechteckigen Blattes. Im Zentrum stehen abstrakte, hochrechteckige Farbformen, die am ehesten noch an Baumstämme erinnern. Diese Formen setzen sich aus vielen verschiedenen Farbtönen zusammen: hellblau, grün, bräunlich, gelblich, wenig rot, türkis. Bei näherer Betrachtung, zu der ich Sie nur auffordern kann, sieht man, dass diese Farbspuren in einer dicken Schicht übereinanderliegen. Franz Bellmann hat das so beschrieben: Mit dem Spachtel, an dem auch mehrere verschiedene Farben kleben können, geht er über die schon aufgetragenen Farbschichten. Je nach Trocknungsgrad liegen die einzelnen Spuren dann darüber auf oder mischen sich mit darunterliegenden, noch nicht trockenen Tönen. Auf diese Weise entsteht quasi ein dicker Farbteppich. Eine hellblaue Spur zieht sich diagonal über das Bild und lässt die Farben umso mehr funkeln. Ich sprach zu Beginn über einen gelben Farbton am Rand des Bildes: dieser entsteht durch das Durchschlagen des Öls auf dem Papier, das Öl wirkt also wie ein neuer Farbton und wird wahrscheinlich im Laufe der Jahre immer dunkler werden.
Es sind hier viele Bilder aus unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Stilen zu sehen. Manche sind figurativ, die meisten abstrakt. Bellmann arbeitet häufig in Serien. Es gibt Bilder, die im typischen Allover-Stil der abstrakten, amerikanischen Maler nach dem 2. Weltkrieg gemalt sind, auch mit dem Heruntertropfen der Farbe. Unter den gegenständlichen Werken fällt hier eine seiner erotischen Arbeiten auf, auch aus einer Reihe von Arbeiten, – ich bin mal gespannt, ob Sie sie finden! – Weiterhin existieren noch lustige Männlein, die mich an Jean Dubuffet, den berühmten Art-Brut-Künstler erinnern – Art brut = Außenseiterkunst. Dazu gehört zum Beispiel das Gemälde mit dem Titel „ich bin zu fett“ an der rechten Wand ganz hinten am Altarraum: Im Profil sieht man in erster Linie einen dicken Bauch in Orange, an dem ein dünner, kleiner Arm herunterhängt, und einen roten Schmollmund. Der Stil ist kindlich-naiv, darunter steht der Titel „ich bin zu fett“ in Schreibschrift. Sich selbst kann der Künstler damit aber nicht meinen!
Von den großen Leinwänden möchte ich den Blick auf eine Arbeit lenken. Sie heißt „Vergessene Welt“ und hängt in der Mitte an der rechten Wand. Das Gemälde ist abstrakt und mit wasserhaltiger Farbe und Bitumen, sprich Asphaltfarbe gemalt.
Der Zusammenstoss: provoziert durch Mischtechnik, Foto Manfred Rinderspacher.
Der Zusammenstoss, den Bellmann zwischen diesen beiden Malmaterialien herbeiführt, hat zur Folge, dass die wasserhaltige Farbe und das ölhaltige Bitumen sich gegenseitig abstoßen, dabei entsteht eine Art Krakelée, sprich man sieht quasi die Verdrängung der Farben. Sehr schön ist das Durchschimmmern anderer Töne wie Blau und Rot in dem Gelb und das heftige Heruntertropfen der schwarzen Asphaltfarbe. Wenn man sich das Gemälde eine Weile ansieht, hat man das Gefühl, in einen gelben Himmel zu schauen, in eine Tiefe, vor der rote und blaue Farbflecken schweben.
Doch zurück zu den kleineren Arbeiten auf Papier. Eine Gegenständliche möchte ich noch erwähnen, die den Titel trägt: Die Jagd, von 1992. Sie hängt an der linken Wand relativ weit hinten. An Höhlenmalerei erinnert das Tier mit Hörnern, vermutlich ein Stier, der von einer unklaren Figur getragen wird. Bräunliche Töne wechseln sich ab mit schwarzen Linien. Erst bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass die schwarzen Linien Zusammenstöße von Papier betonen: Hier verwendete Bellmann Makulaturpapier, sprich Papier für den Zeitungsdruck, vom MM hier gegenüber, das ja sehr dünn ist. Dieses Papier hat der Künstler zusammengeleimt, mit Wandfarbe bemalt und noch feucht weiter bearbeitet, sprich es hat sich dann zusammengeschoben, das dünne Papier. Die entstehenden Grate wurden zum Teil schwarz bemalt. Erstaunlicherweise betont diese Technik den archaischen Charakter des Bildes: es sieht tatsächlich aus wie eine Höhlenzeichnung.
Generell kann man zu den Gemälden feststellen, dass Franz Bellmann hier seit Jahren experimentiert, erfinderisch mit verschiedenen Materialien umgeht, dass er sucht, immer wieder ernsthaft um die Form ringt. Für uns, die Betrachter, bedeutet dies, dass man sich Zeit lassen sollte, um in die abstrakten Gemälde einzudringen, einzutauchen, um sie dann, eigentlich in einer Art Meditation, aufzunehmen und letztendlich zu verstehen. Kunst ist, um das immer mal wieder zu sagen, ein Weg, um die Welt besser zu verstehen, das Unsagbare zu sehen und zu fühlen, um vollständig einzutauchen in ein Anderes.
Doseninstallationen
Ich komme nun zu den Doseninstallationen draußen, für die Franz Bellmann bekannt geworden ist und bei denen eine ganz andere Motivation eine Rolle spielt. Das Ausgangsmaterial für diese Arbeiten sind leere Getränkedosen. Getränkedosen bestehen aus Weißblech und Aluminium, (Weißblech ist mit Zinn bedampftes Stahlblech), manche nur aus Aluminium. Aluminium ist ein extrem teurer und kostbarer Rohstoff, der hauptsächlich in Bauxit vorkommt und daraus mittels Elektrizität gelöst werden muss. Bauxit kommt vorwiegend in der Karibik und Westafrika vor, sog. 3. Welt-Ländern, die mit Aluminium ihre Schulden an die sog. 1. Welt bezahlen.
„Der Dosenhelm“, genutzt als Garderobenständer, Foto Matthias Plath.
Franz Bellmann hat 1989 mit dem Sammeln von Dosen angefangen. Daraus bastelte er verschiedene aufsehenerregende Dinge: Berühmt geworden ist sein Dosenhelm aus plattgequetschten Dosen, den der Künstler auf Perfomances trug, wenn er behängt mit klappernden Dosen durch Innenstädte zog. Hier in der Dosenhelmstele draußen zu sehen. Erinnert werden soll an die große Plattfahraktion 1996 am Landesmuseum für Technik und Arbeit, bei der Bellmann eine riesige Menge Dosen von einer historischen Dampfwalze plattfahren ließ. Interessiert hat sich kürzlich Bundesumweltminister Jürgen Trittin für den Mannheimer Dosenkünstler, weil ja eines seiner vordringlichen Anliegen die Einführung von Dosenpfand ist, das ja nun erfreulicherweise am 1.1.2003 kommt.
Eigentlich knüpft Bellmann an die politischen Aktionen der Künstler der 60 und 70er Jahre an, die wie Wolf Vostell und letztendlich auch Joseph Beuys auf die herrschenden, gesellschaftlichen Verhältnisse aufmerksam machen wollten. Durch die Verarbeitung, Deformierung oder Ironisierung von Alltagsgegenständen erregten sie in Aktionen und Happenings Aufsehen. Genau das tut auch Franz Bellmann: mit seinen Doseninstallationen und Aktionen darauf hinzuweisen, dass wir täglich unendlich viel vermeidbaren Müll aus wertvollen Rohstoffen produzieren und dann einfach wegwerfen.
Hier im Garten stellt Franz Bellmann nun verschiedene seiner Arbeiten mit und aus Dosen aus: Von der einfachen Reihung der Dosen oder dem sog. Dosenster, gemeint ist das Raummaß Ster = 1 m x 1 m x 1 m, für Holz im Wald, hier allerdings in 2 m x 1 m aufgebaut, geht es zur häufig vorkommenden Dosenstele, die z. T. rostig sind und auf die unschöne Verrottung aufmerksam machen. Dann gibt es die Hockerstele, bei der als Fuß ein Hocker dient und die weit verbreitete, bei deutschem Wetter sehr beliebte Schirmstele. Der Kern besteht zumeist aus plattgequetschten Dosen, oft zu Unkenntlichkeit deformiert und dann in vielen bunten Farben bemalt. Manchmal sind Gelbe Säcke (aber eingefärbt) darüber gezogen, manchmal Hasendraht, um die Dosen zu festigen. An den Dosenkern können sich ebenfalls ökologisch problematische Plastikteile anlagern, z. B. Rührschüsseln oder Farbeimer, aber auch Schlittschuhe, Kuchenbleche oder Schlappen dienen als Ausdehnung der Stelenform in die Breite. Erweitert ist das Programm an der „Schirmstele mit Illumination“ durch, wie der Titel schon sagt, Beleuchtung. Gerade diese Stele ist sehr vergnüglich zu untersuchen: dort gibt es z. B. Eiswürfelschalen, Kleiderbügel und tropfende Farbe zu sehen.
Generell kann ich Sie nur dazu auffordern, sich alle diese Stelen in Ruhe anzuschauen, weil es ein kindliches Vergnügen bereitet, die verschiedenen Gegenstände unter der Farbe zu entdecken! Witzig ist auch die „Apfelstele“, oder besser „Die Vetreibung aus dem Paradies“ vorne am Zaun: am gepressten hellblauen Dosenkern schlängelt sich ein Kabel hoch und züngelt an den täuschend echten Kunststoffapfel.
„Maria mit dem Jesuskind“ als Detail einer Schirmstele, Foto Manfred Rinderspacher.
Den Bezug zum Ausstellungsort stellt auch eine schwarze „Maria mit Jesuskind“ am Gitter her. Interessant ist desweiteren das Arrangement aus dem „Wegeskreuz“ und dem „Berufsradfahrer“: bei letzterem thront ein aus dem Neckar gezogener Fahrradrahmen auf Dosen, Plastikeimern und Schneeschippe. Alles ist braun angemalt und zeigt durch Titel und Farbe, was der Künstler besonders verachtet.
Die Titel vieler Werke verweisen auf ein weiteres Merkmal von Bellmanns Arbeiten: Wenn man etwa „Dosenorden“, „Mahnwache am Dosengrab“, der Titel einer Performance oder „Dosengericht“ hört, muss man schmunzeln, sprich Bellmann ist bei aller Ernsthaftigkeit des Themas immer auch der Ironie fähig.
Generell besteht die ganze Installationskunst von Bellmann aus recyceltem Material: seine Farben erhält er von einem Farbenhändler, der ihm angebrochene oder vermeintlich leere Dosen schenkt; einmal erhielt er mehrere leere Feuerlöscher, die in einer Stele verarbeitet sind. Viele Gegenstände in den Installationen entstammen dem Sperrmüll oder Schrottplätzen, sprich Franz Bellmann macht Kunst aus Wohlstandsmüll, er hilft mit, wie Trittin, den Müll ordentlich zu entsorgen, aber verglichen mit dem Dosenpfand ist Kunstrecycling bestimmt die schönere und lustigere Form mit weniger gesellschaftlichem Widerstand!
Ich wünsche Ihnen nun viel Vergnügen beim Entdecken und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Susanne Kaeppele
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Einführung Franz Bellmann (Cornelienhof, 7.12.03)
Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie kennen ihn alle als den Dosenkünstler, aber parallel zu seinen Installationen arbeitet er schon lange zweidimensional, sprich, er malt. Schon lange in verschiedenen Stilen, häufig düster, manchmal gegenständlich, oft abstrakt.
Die Ausstellung hier heißt jetzt „Neue Bilder“. Die Basics sind immer gleich: Format 34 x 50 cm, Rahmen immer weiß, Rahmenmaß 50 x 70 cm, immer Querformate, immer Öl auf Papier, Material Zeitungspapier, von der Rolle, 3 Lagen geleimt, mehrfach übermalt, kosten alle 199 Euro.
„Mannheim“, Foto Manfred Rinderspacher.
Alle Bilder entstanden diesen Sommer, der, wie Sie sich alle erinnern, ein außergewöhnlich langer, warmer und sonniger war. Franz Bellmann stand auf der Terrasse in Edingen mit Blick auf den Garten und malte seine „Neuen Bilder“. Aber Malen ist nicht der rechte Ausdruck: er lief um seine Blätter herum, die auf dem Boden lagen, natürlich vorher zusammengeleimt und freundlich grundiert, und schleuderte mit seinem Pinsel Farbe auf das Bild.
Franz Bellmann steht hier in einer erfreulicher Tradition: 1942 arbeitete der große Max Ernst das erste Mal mit der sogenannten „dripping“-Methode, sprich er füllte ein Dose mit Farbe, machte unten ein Loch hinein, befestigte die Dose an einer Schnur und schleuderte sie herum. Das Ergebnis ist hoffentlich heute in der Mannheimer Kunsthalle zu bewundern – hoffentlich, weil man nicht weiß, wo die Bilder gerade sind, seit Lauter da ist – nämlich „Junger Mann durch den Flug einer nichteuklidischen Fliege beunruhigt“. Diese Dripping-Technik interessierte die jungen Maler in den 40er Jahren sehr, und für Jackson Pollock, den widerborstigen Amerikaner, einen Hauptvertreter des Abstrakten Expressionismus in Amerika, wurde sie ab 1947 die Technik seines Lebens, zumeist in düsteren Farben.
Franz Bellmann macht jetzt aber fröhliche Dripping-Bilder, aus denen der Sommer spricht. Er erzählte mir kürzlich, dass die Wärme auch gut war für die Konsistenz der Farbe, die nur dann richtig tropft, wenn sie flüssig genug ist, aber wenn sie zu flüssig ist, funktioniert es auch nicht richtig. Er arbeitet nicht mit der Dose wie Ernst, sondern mit dem Pinsel, sprich er schlenkert die Farbe aus dem Pinsel auf die Bildfläche. Zumeist dominiert eine Farbe und manchmal hat er Buchstaben unter den Drippings aufgetragen.
Ein „Slinging“, für Otto Dix, Foto Manfred Rinderspacher.
Sie sehen hier jetzt, hinter mir, hängen drei zusammen, OTTO – DIX – GROSS, aber ob das ein Urteil über den berühmten Vertreter der Neuen Sachlichkeit bzw. des Expressionismus ist? Lustig finde ich, dass auf dem Bild hier vorne, GEZ, also Gebühreneinzugszentrale, zu lesen ist, darüber blaugrüne, diagonal geführte Driplinien mit schwarzen Punkten, grünen Schlenkern und roten Spritzern. Soll das ausdrücken: Für alle was dabei? Oder geht es, wie ich vermute, einfach um die fast dadaistische Kombination von geometrischen Großbuchstaben, die manchmal einen Sinn ergeben können, aber manchmal trotz Sinn sinnlos sind, etwa bei HAM da drüben: warum Schinken? Plausibler unsinnig erscheint mir das da drüben, eine transzendente reelle Zahl (für die Berechnung des Flächeninhalts eines Kreises, 3,141592653…) im Gewirr bunter Linien, der richtige Ort für die Mathematik, oder? Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass die Buchstaben einen konstruktiven Zweck haben, die Bilder in sich zu stabilisieren, da sie ja sonst als Drippings keinen Anfang und kein Ende haben, wie schon Pollock feststellte.
Ganz wichtig ist, dass man sich die Bilder aus der Nähe und aus der Ferne ansehen sollte. Aus der Nähe sieht man immer wieder Neues, wie die Driplinien selten abreißen – Franz Bellmann achtet darauf, dass sie durchlaufen über die Bildfläche – , aber manchmal reißen sie ab, das ist dann sehr überraschend. Oder plötzlich kommen dicke Farbflecken, in Blau und Grün wie da hinten, oder ganz feine Spitzer in Rot und Hellgelb. Lange könnte man verweilen, und fände immer wieder Neues, ich denke, an diesen Bildern kann man sich nicht satt sehen. Manche enthalten viele gerichtete Linien horizontal übereinander, andere Diagonalen, manche sind ganz zart gesprenkelt, andere heftiger, aber alle sind vergnügt. Aus der Ferne entwickelt sich dann eine erstaunliche Tiefe, man erkennt, wie die Schrift dahinter liegt, es eröffnen sich richtige Bildräume, obgleich keinerlei perspektivische Anzeichen oder Hilfen dafür vorhanden sind. Ein Bild, beim ersten Sichten trug es die Nr. 18, erschien wegen dem unter den kleinen, gelben Sprenkeln liegenden Rasters in Grau wie Segelschiffe im Winter. Sie sehen, beim längeren Hingucken öffnen sich neue Horizonte in den neuen Bildern von Franz Bellmann.
Nun soll ich noch sagen, dass es sich hier um eine Verkaufsausstellung handelt, Frau Knippel hier oder der Künstler selbst nehmen Ihnen gerne ein Bild von der Wand, genieren Sie sich nicht und sagen Sie es Franz Bellmann oder Frau Knippel, wenn Sie ein Bild wünschen, es sind noch weitere da, die gleich aufgehängt werden können. Und wenn alles verkauft wird, was zu hoffen ist, hängt Franz Bellmann eine ganz neue Serie auf!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und schauen Sie genau hin
Dr. Susanne Kaeppele
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S U S A N N E K A E P P E L E
Ausstellungseröffnung Franz Bellmann IT Consult 14.3.04:
„Geklaut“ und weitere Serien
Sehr geehrte Damen und Herren,
Franz Bellmann ist ein ganz ungewöhnlicher Maler, schon von seiner Biografie her. Jahrgang 1946 hat er zunächst in den wilden 60er Jahren Soziologie und Politologie in Tübingen studiert, sattelte dann 1970 auf etwas sichere Fächer um, nämlich Bautechnik in Karlsruhe, schloss als Bautechniker ab und arbeitete dann u.a. bei ABB. Schon 1972 hatte er ein Atelier in Karlsruhe, dann 1985 in Mannheim in H 7, 24, also der westlichen Unterstadt. 1985 gab er den Broterwerb auf und versuchte seine Glück als Künstler. Berühmt wurde er hier im Raum in erster Linie durch seine Arbeiten mit den Dosen. In der Dosenzeit – so nenne ich sie mal, denn heute macht er das nicht mehr, seit Trittin das Dosenpfand eingeführt hat, erscheint es ihm überflüssig – also in dieser Zeit entstanden sehr viele Ausstellungen, Performances wie die Sammel- und Plattfahraktion im Hafengebiet, das „Dosenglück“, „Dosengericht“, „Dosenfix“ oder „Die Kruzibüchsen“. An den Titeln sehen Sie schon: Franz Bellmann ist witzig.
Diese Ausstellung bei IT consult präsentiert nun verschiedene seiner Serien von Gemälden. Franz Bellmann ist sehr produktiv, er arbeitet wie die meisten großen Künstler in Serien, und hier sind nun viele seiner „Walzbilder“, dann etliche aus der Serie „Geklaut“, einige aus der Reihe der „Fensterbilder“ und ein paar „Figurative Zeichnungen“ ausgestellt. Dazwischen hängen noch einzelne große Gemälde. Nun möchte ich Ihnen die einzelnen Serien und daraus Bilder vorstellen, die Sie sich dann nachher genauer selbst anschauen können.
Beginnen wir hier im Foyer mit den „Walzbildern“. Sie tragen ihren Namen nach dem Arbeitsmittel: Bellmann benutzte hierzu ganz gewöhnliche Heizkörperrollen, aber die aus Vlies. Und mit diesem Werkzeug wurde er ein Spezialist. Wenn Sie sich etwa seine „Dusch-collage“ von der Einladung anschauen, dann merken Sie das gleich, vielleicht auf den zweiten Blick. Zunächst fand Franz Bellmann Formen, die eigentlich ein Halbkreis, Viereck etc. sind, dann aber einen Duschkopf in Rot meinen, eine Duschwanne in Graubraun, dann etwas, das wie eine Schiebetüre an der Dusche wirkt. Dieses blaue Teil ist aber aus Wasser gemacht, also ein Wasservorhang! Das allein fände ich schon genial und witzig, aber noch besser finde ich die Art und Weise, wie er es gemacht hat: die Wassertropfen, Wasserschlieren sind in Blau mit der fast trockenen Rolle abgewalzt worden. Hier sieht man schon zwei wichtige Bellmann-Charakteristika auf einmal: Witz und Erfindungsgeist. Denn Franz Bellmann verwendet immer wieder neue und andere Techniken.
Wir bleiben in der Reihe und sehen dort „Park in Blau II“. Auf blaugefärbtem Grund hebt sich links eine Art abstrahierter Baum ab, dahinter oder daneben sehen wir vorwärtsstrebende Dreiecke, die Beete andeuten können. Dahinter steckt eine sehr originelle Technik: Franz Bellmann fertigt sich Schablonen, mit deren Hilfe er bestimmte Formen wiederholen kann. Diese Muster können umgekehrt scherenschnittartig wirken und sie erinnern manchmal an Kunst aus den 50er Jahre, an Grafiken von HAP Grieshaber oder die Arbeiten von Pablo Picasso. Aber Bellmann setzt die Schablonen originell ein, so wie man es bei anderen Künstlern noch nicht gesehen hat.
Wieder sehr witzig ist sein „Minos of Taurus“ (direkt darunter): Achten Sie unbedingt auf die Titel, die immer beziehungsreich sind, hier wird der Minotaurus aus der griechischen Sage zerlegt und eine eigenartige Stierdame mit dicken roten Lippen und roten Hufen daraus. Sehenswert ist unbedingt das flauschiges Fell, das der Künstler der Stierdame mithilfe seiner trockenen Walze schenkt.
Ganz anders ist das Bild „Wie wird man am besten verrückt“: Oben und unten zwingen breite, rote Streifen das mit Letrasetbuchstaben angerichtete Chaos zusammen. Letrasetbuchstaben kennen wahrscheinlich heute gar nicht mehr alle, die Buchstaben und Zahlen zum Anreiben hat Bellmann hier sehr schön angeordnet: Wie sich die Zahlen berühren, wie sie leicht aufgelöst sind, wie sie sich überlagern, das wird sehr intensiv und lässt die Angst vor dem Verrücktwerden spürbar werden. Teilweise sind sie einfach nicht komplett angerieben, sondern nur partiell. Interessant für Sie ist hier die Häufung von 0 und 1: Sind das nicht wichtige Zahlen im IT-Bereich?
Kommen wir zur titelgebenden Serie „Geklaut“ (hier links um die Ecke): Franz Bellmann hat für diese Reihe von Arbeiten in Öl auf Nessel Motive aus der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts kopiert. Aber bei näherer Beschäftigung damit muss man feststellen, dass das so nicht stimmt: Grundsätzlich sind es natürlich Repliken, Kopien von mehr oder minder bekannten Werken der Kunstgeschichte, die Bellmann irgendwann, irgendwo begegnet sind, die ihn angesprochen haben. Aber: Bellmann hat sie zumeist verfremdet und nur in selteneren Fällen ganz übernommen. Und dann handelt es sich dabei um ganz unbekannte Werke, so dass es eigentlich weniger Kopieren im Sinne von geistigem Diebstahl, sondern eher von Bekanntmachen der Kunstwerke ist. So wie bei Rudolf Müllers „Flötenspieler“ von 1935, der hier ganz unten hängt. Ein Mann mit blauen Augen spielt auf der Flöte, daneben glotzt ein Riesenkopf, die ganze Szene ist vollständig surreal, sehr intensiv und völlig unbekannt. Meines Erachtens ist es Bellmanns Verdienst, ganz im Gegensatz zur gängigen Auffassung von Kopie oder Plagiat, dass er dieses Bild promotet, dass er die Betrachter darauf aufmerksam macht, dass ein unbekannter Künstler namens Rudolf Müller 1935 so erstaunliche Dinge malte und dass er es mit dessen Namen präsentiert.
Ansonsten hat er häufig die Gattung ausgetauscht, so hat etwa Lucio Fontana eine Skulptur produziert und Bellmann malt die Idee, sie wurde so zum Gemälde. Dann hat er mehrfach die Grundidee der Vorlage abgewandelt, etwa bei Joan Mirò: Frau mit drei Haaren, bei Bellmann hat sie vier Haare. Oder bei den Delaunays: Das Gemälde von Sonja und Robert Delaunay gibt es so nicht, Bellmann hat verschiedene Farben und Formen gemalt, die auch von den Delaunays sein könnten, es aber nicht sind. Der Mannheimer Künstler macht sich aber auch lustig über die berühmten Kollegen: Ernst Barlachs „Geistkämpfer“ steht normalerweise als Denkmal in Kiel und hält sein Schwert über dem Kopf. Bellmann hat daraus eine Karikatur gemacht: Der Mann auf dem Gemälde trägt einen Tirolerhut, stützt sich auf sein Schwert und hält in der Hand eine Pistole, deren Kopf wie der Deutsche Michel mit Schlafmütze wirkt. Da könnte man natürlich argumentieren, dass es nicht recht ist, einen toten Künstler zu karikieren, aber wie viele berühmte Kollegen vor Bellmann haben das getan? Denken wir an Marcel Duchamps, der die Mona Lisa von Leonardo da Vinci veräppelte, überhaupt die Mona Lisa: Kaum ein Kunstwerk wurde so häufig angegriffen, da muss es sich auch ein Barlach gefallen lassen. Und wieder ist es so, dass der Künstler eigentlich aufgewertet wird dadurch, dass man sich über ihn mokiert, denn es zeugt von seiner Bedeutung.
- Aus dem Zyklus „Geklaut“: Gemalt nach Heinz Braun – „Lieber Idiot als Beamter“, Foto Manfred Rinderspacher
Zwei Beispiele aus dieser Serie möchte ich noch besprechen: das Bild von Heinz Braun: Lieber Idiot als Beamter. Dieses Bild ist wieder sehr beziehungsreich: Den Titel hat Bellmann aus dem „Stern“; der Künstler Heinz Braun wiederum war Postbote und ist schon 1986 gestorben. Er hatte sein Postbotenbeamtendasein irgendwann leid und wurde Maler. Bei ihm heißt das Gemälde „Kraftakt“, es entstand 1984 und zeigt denselben muskelbepackten Typen, der aber eine Kuh durch die Luft schleudert, nicht ein Schwein wie hier. D. h. Bellmann hat das Original wieder ein bisschen verändert und mit dem Titel, der immer wichtig ist, in den für ihn wesentlichen Zusammenhang gestellt. Und dieser Zusammenhang wertet auch den anderen Künstler wieder auf, der sein Beamtendasein an den Nagel gehängt hat, um Maler zu werden, so wie Bellmann den sicheren Job bei ABB aufgab..
Das andere Bild, das ich noch besprechen möchte, ist von Jean Dubuffet, es hängt auch an dieser Wand. Jean Dubuffet ist ein großes Vorbild von Franz Bellmann und war der Verfechter und Erfinder der Art brut, der rohen Kunst, damit ist die Kunst von Kindern, Geisteskranken oder außerhalb der Gesellschaft stehenden Menschen gemeint. Dubuffet kam in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts, also vor dem 2. Weltkrieg, zu dem Schluss, dass diese Kunst wie kaum eine vorher geeignet sei, das heutige Leben auszudrücken, denn nicht die akademischen Riten an den Kunstschulen, nicht der Kommerz mit Auftraggebern und deren teilweise absurde Vorstellungen interessierten ihn. Seine Orientierung an Kinderzeichnungen teilte nach ihm die Gruppe COBRA, genannt nach den Städten Copenhagen-Brüssel-Amsterdam, in denen die Künstler Asger Jorn, Karel Appel, Constant, Corneille u.a. sich 1948-1951 einer freien und sehr bunten Malerei widmeten. Und eine solche macht auch Franz Bellmann und das sehr, sehr gut, wie ich finde. Schauen Sie sich etwa das Bild rechts hinter dem Eingang von dem Büro hier rechts an: Ich habe es „Indianerbild“ getauft wegen des Indianers rechts, links ist der Häuptling zu sehen, der witzigerweise ein schwarz-rot-goldenes Stirnband trägt. Alle sogenannten Fensterbilder in diesem Raum sind lebhaft bunt in fast reinen Farben gemalt: Rot, Blau, Grün, Gelb. Franz Bellmann sagte mir, dass er seine Farben nicht auf der Palette mische, sondern auf dem Bild selbst. An diesem Gemälde können Sie auch Malerei pur erleben: wie etwa an der Figur links oben ein Stück Leinwand freigelassen ist, wie sich die Farbe pastos verdichtet und dann wieder ganz dünn auftritt, entweder mit Malöl verdünnt oder abgestreift, das ist alles ganz stark, lebhaft, lebendig und kraftvoll. Oder wie Bellmann einen einzelnen Kopf in dem Zimmer aus verschiedenfarbigen Schlieren mit dem Spachtel aufträgt, das ist ganz frei und ganz unabhängig von anderer Kunst entstanden und auch so zu sehen und zu bewerten.
Ähnlich verhält es sich mit seinen „Figurativen Zeichnungen“ in dem Zimmer links neben dem Flur: Mit starkem schwarzen Strich auf beigem Papier gezeichnet, frech und witzig. Die drei Figuren, wir könnten sie durchaus auch die drei Grazien nennen, kommunizieren nicht miteinander, stehen frontal da, die schwarzen Striche sind mit Titanweiß gehöht, das zeigt ganz deutlich Franz Bellmanns Temperament: Witz und Erfindungsgeist habe ich vorhin genannt, man müsste seinen Sinn für Schönheit noch dazunehmen, auch wenn er es selbst nicht so sieht.
Und auch seine großen Gemälde zeugen von Ausdruckskraft, Ideenreichtum und Erfindungsgeist: an dem „Zirkusbild“ kann man sehen, wie er mit dem Pinselstiel in die noch nasse Farbe gezeichnet hat, eine originelle Variante der Zeichnung in der Farbe.
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch ein sehr stimmiges Zitat von Jean Dubuffet mit auf den Weg geben, das wie ich meine, sehr gut zu Franz Bellmann und seiner Kunst passt. Jean Dubuffet, der große Art brut Künstler, sagte einmal:
„Die Malerei arbeitet mit Zeichen, die nicht abstrakt und unkörperlich sind wie Wörter. Die Zeichen der Malerei sind den Gegenständen selbst sehr viel näher. Darüber hinaus manipuliert die Malerei Materialien, die selbst wiederum lebende Substanzen sind. Deshalb erlaubt sie es uns (die Malerei), in der Annäherung an Dinge und deren Beschwörung viel weiter zu gehen, als Worte dies tun.“
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und viel Spaß beim Betrachten der Bilder.
Dr. Susanne Kaeppele