Zum Thema Dose und Dosenglück sind mehrere Blog-Artikel erschienen, die WIR fotografisch und textuell in einer gebündelten Übersicht dem Leser als Faktenschleuder präsentieren wollen. Fast alle Fotos wurden von ManfredRinderspacher gemacht, wo dies nicht zutrifft, nennen wir den Urheber. Wir beginnen in Heidelberg, danach sind wir in Mannheim, Ludwigshafen, Basel und Worms:
Unter dem Stichwort „Dosenglück“ sind im Blog weitere Berichte zu entdecken.
Eines muss klar sein; was vor zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren die Dose war, ist spätestens heute (beileibe viel zu spät) die Kunststoff- oder Plastiktüte! Wie sich die Diskussionen von damals und heute doch gleichen. Das Ende heisst wohl Plastiktütenpfand. Oder schöner: Nylonsackerlpfand. Wie ehemals Dosenpfand. Einen ganzen Euro bitte zum Erwerb der Gug, und noch einen, bitte, für die Entsorgung dieses gekauften Mülls! Pfänder werden nicht eingelöst, das ist der Widerspenstigen Bestrafung. Wie wär’s einfach mal mit vielfach wiederverwendbaren und auch verwertbaren Stofftragetaschen??? Da sind ja bereits einige umgestiegen und nutzen Plastiksäcke nur noch zur Entsorgung von Abfällen, wie sie im privaten Haushalt anfallen.
Auf eine Einladung vom 2. Juni hin: ging ich heute Abend in den Jungbusch. Lisa führt Regie in diesem Stadtteil von Mannheim. Und präsentiert sidewalk. Wohl am besten übersetzt mit der Fußweg. Also gingen alle – Brüder + Schwestern – ausnahmslos der vorgeschriebenen Route nach: »ZarteSehnsuchtSüssesHoffen« (Sidewalk-Theater) nach Motiven von Friedrich Schiller. Im Saal des Gemeinschaftszentrum Jungbusch startete die CREATIVE FACTORY mit ihrer neubearbeiteten Inszenierung einer Aufführung, die institutionell bereits Anerkennung, Würdigung und Preise fand. Lisa Massetti bildet den Nukleus dieser förderungswürdigen Theaterarbeit. Ich lasse es mir nicht nehmen, den Inhalt der mir übermittelten Einladung hier darzustellen:
»Liebe Freunde, sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Sie gerne auf eine Aufführung der CREATIVE FACTORY im Gemeinschaftszentrum Jungbusch aufmerksam machen und einladen: „ZarteSehnsuchtSüssesHoffen“ (Sidewalk-Theater) nach Motiven von Friedrich Schiller. Die Inszenierung ist eine Neubearbeitung der Aufführung, die im Jahr 2009 mit dem Preis des Festivals der freien Szene „Schwindelfrei“ (Inter. Schillertage – Nationaltheater MA) prämiert wurde. Es wurde durch Improvisationen in neuer Besetzung eine neue Textfassung für den Handlungsrahmen erstellt. Jugendliche und Bewohner des Jungbusch stellen in szenischer Form eine Verbindung her zwischen ihrer heutigen Lebenswelt und klassischen Schiller’schen Themen wie Recht und Ungerechtigkeit, Freiheit und Gefangensein, Widerspruch zwischen Idealen und Wirklichkeit, Anmut und Würde, Vernunft und Unvernunft. Gespielt wird open-air auf Straßen und Plätzen des Stadtteils. So werden Originalschauplätze des Jungbusch zu theatralen Handlungsräumen. Die Grenzen zwischen Darstellung und Wirklichkeit werden aufgelöst. Es werden Brücken geschlagen zwischen gestern und heute, Klassik und Moderne, deutsch und nicht-deutsch, künstlicher und natürlicher Realität. www.jungbuschzentrum.de Aufführungen finden an folgenden Tagen statt: Samstag: 15. Juni 2013 um 19 Uhr (Premiere), Sonntag: 16. Juni um 18 Uhr, Start: SAAL DES GEMEINSCHAFTSZENTRUMS JUNGBUSCH, Jungbuschstrasse 19, Mannheim, Eintritt: Frei, Wir würden uns freuen, Sie an einem der beiden Abenden begrüßen zu dürfen. Liebe Grüsse, Lisa Massetti, Elfenstraße 15, 68169 Mannheim, Tel.: 0621/3 18 97 39, mobil: 0173/ 19 57 444, P Be nice to the world. Please don’t print this e-mail unless you really need to.«
Stationen des abendlich-intellektuellen Spaziergangs:
Lisa Massetti ↓
Das Publikum, Station 2: Gemeinschaftszentrum Jungbuschstrasse 19, Station 1 (Aufführung des 1. Aktes) im Saal des Zentrums ↓
Der Übergang zur nächsten Station unter polizeilicher Aufsicht mit den in schwarz gekleideten Wegweisern: bitte folgen ↓
Station 3: Verein für orientalische Musik und Mystik, oben zwei der vielen hier namentlich unbenannten SchauspielerInnen ↓
Das Publikum ↓
Die Wegweiser, Direktimport aus Süditalien: ‚Ndrangheta (Kalabrien), Camorra (Neapel), Cosa Nostra (Sizilien)… ↓
Auf dem Weg zu Station 4 ↓
Vor der Station 4: Wer ist dieser Schauspieler? ↓
Station 5, Hof Kauffmannmühle, Hafenstrasse 68, mit Publikum und Schauspielerinnen namenlos ↓
Zwischenbericht ↓
Station 6, Frei- und Baugelände: Musikalische Intermezzi ↓
Die Mafia ist allgegenwärtig, ihr wird gefolgt, im Hintergrund ein Fahrzeug der Cosa Nostra ↓
Station 7 (An der Jungbusch-Arena) ↓
Zwei Hauptdarsteller bewundern ihre Kollegen bei ihrem Auftritt an der Jungbusch-Arena ↓
Panorama ↓
Impressionen von den Stationen 8 / 9 / 10 aus der Werftstrasse (8=Fenster / 9=Hof Contra’n / 10=ehemaliger Polizeiposten, heute Praxis Dr. Rainer Bindert) ↓
Station 11 (Hof Kauffmannmühle, Eingang Böckstrasse): Freiheit hinter Gittern ↓
Eingangsbereich Böckstrasse ↑
Auftragsarbeit im Knast ↑
Der Befreiungsschlag ↑
Station 12 (Quartiersplatz, Hafenstrasse): »AN DIE FREUDE«, Gedicht von Friedrich Schiller, Ludwig van Beethoven, 9. Sinfonie in d-Moll op. 125, hier in einer modernen Version vorgetragen
Ein Teil des Textes aus Schillers Gedicht:
Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum!
Deine Zauber binden wieder
Was die Mode streng geteilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.
Von den Stationen 1 + 13 liegt im Moment kein Dokumentationsmaterial vor.
Lisa Massetti erteilt gerne Auskünfte und Informationen nicht nur zum Inhalt des neubearbeiteten Stücks.
Einstweilen fini.
Auf meine Bitte per E-Mail schickt Larissa Dubjago mehrere Aufnahmen, die die Stationen 1 und 13 dokumentieren. Larissa lebt in Ludwigshafen. Sie ist unter larissalu@web.de erreichbar.
Station 1, im Saal des Gemeinschaftszentrums Jungbusch, drei Impressionen von Larissa Dubjago
Station 13, im Saal des Zentrums, zehn Aufnahmen von Larissa Dubjago
Ich bin sehr begeistert von Larissas Fotoarbeit und auf diesem Weg ein herzliches Dankeschön! Es folgen drei Portraits von Larissa, die aus dem Hof Kauffmannmühle (Station 11) stammen:
Herzliche Grüsse an Lisa Massetti.
ZarteSehnsuchtSüssesHoffen Sidewalk-Theater nach Motiven von Friedrich Schiller
Regie: Lisa Massetti # Dramaturgie: Bernd Görner # Bühne/Technik: Thomas Kaufmann # Assistenz: Sonat Cankapli/ Sophie Sanitwongs # Musik: Sinan Sarihan und 34 Darsteller:
Hüseyin Yörük, Gizem Kaya, Kaya Yörük, Melek Kiliç , Salih Acar, Cagla Dogru, Tuba Ibis, Büsra Yazici, Burak Hossöz, Kübra Durak, Samet Cankapli, Tagrid Jasem, Fatih Akpinar, Maura Lucci, Kenan Sarihan, Maryam Razeghi, Hamza Kapli, Tülay Balik, Kenan Kapli, Najibeh Gharibi, Sonat Cankapli, Ruth Syren, Ilyes Mimouni, Zeynep Demir, Emin Yildis, Hülya Balkis, Giyasettin Akpinar, Norbert Hermann, Meltem Kiliç, Gisela Merkle, Melek Yörük, Maria Hermann, Öznur Besli, Alex Miller
Von Zeit zu Zeit streifen wir durch den Busch: Spaziergänge tags und nachts. Mehr tagsüber, des Lichts wegen zum leichteren Fotografieren. Vielleicht auch aus Sicherheitsgründen, wer weiss. Die meisten Menschen sind ja nicht mehr so richtig durchtrainiert und selbstverteidigungsfähig. Wahrscheinlich unterliegt man eher einem Vorurteil. Trotzdem ist es verhaltensbestimmend. Übermut tut selten gut. Nun, wir wandeln weiter auf unbestimmten Wegen im Jungbusch, wo es uns halt so hinführt. Seit mehreren Monaten arbeiten wir an einer ‚Urbanen Dokumentation‘, zu der auch die Westliche Unterstadt zählt: mit Swansea Platz, der heimlichen Hauptstrasse Mannheims, diversen Geschäften et cetera pp. Hiereinige Links fertiger Artikel – mehr im Blog:
Performance „Dosenhain“ in Mannheim beim „Pflanzenbrunnen“ von JoachimSchmettau am 20.03.1994, mit der schriftlichen Bitte um Einverständnis an den Urheber des Brunnens, der im Volksmund Knödel- und auch Elefantenbumsbrunnen genannt wird. Die Anfrage vom 06.01.1994 wurde am 08.01.1994 bestätigt. Schmettau war über drei Jahrzehnte Professor in Berlin. Wir werden weitere Informationen in den nächsten Tagen aufbereiten, DieRedaktion.
Er hat ein Gesicht wie ein ergrauter Seefahrer, und in gewisser Weise ist er auch einer. Zumindest macht sein Atelier in der Mannheimer Altstadt den Eindruck einer Wunderkammer voller Trophäen, die er auf Reisen durch die Wirklichkeit gesammelt hat. Sehr weit freilich musste er nicht fahren, um Dinge zu finden, die seine Fantasie herausfordern, im Gegenteil, sie purzeln ihm tagtäglich vor die Füße: Kartons und Dosen, Eimer, Gabeln, Zigarettenkippen, Flaschen, Korken, Blechdeckel, Maschendraht, Stofffetzen …. Im Grunde gibt es nichts, was Franz Bellmann nicht gebrauchen kann. Er nimmt so ein Wegwerfding, dreht es vielleicht mal in der Hand, und, zack, erhebt sich in seinem Kopf wahrscheinlich schon die Säule aus Blechdosen, die Stelengruppe aus übereinander getürmten Kronenkorken oder das Materialbild aus Kartons, Drahtstücken, Löffelstielen und Zahnbürsten.
Franz Bellmann ist Künstler, und in einer anderen Lebensform hätte er, der gelernte Bautechniker und Soziologe, auch niemals Wurzeln schlagen können – wo soll einer mit solchem Gebrodel im Kopf denn sonst hin? Geboren 1946 in Haidl/Böhmen, verschlug es ihn noch vorm Abitur nach Karlsruhe, wo er später auch sein erstes Atelier einrichtete. Damals in den siebziger Jahren glaubte er wohl zwar immer noch, er könne auch für eine bürgerliche Existenz taugen. Aber 1985 gab er den Gedanken daran auf und kam nach Mannheim. Seitdem treibt er in der Rhein-Neckar-Region sein Unwesen, und das äußerte sich mitunter richtig spektakulär, weil nämlich die Blechdose, speziell die Alu-Getränkedose, zu einer Art Markenzeichen wurde für den Franz Bellmann.
Unvergessen aus den neunziger Jahren seine Dosen-Plattfahr-Aktionen in Karlsruhe und am Mannheimer Landesmuseum, unvergessen seine Performance „Dosenglück“, seine Dosenspaziergänge und Dosen-Mahnwache – die Getränkedose war und ist für Bellmann ein massenhaft verfügbares und als solches erstaunlich formbares Material. Säulen und Girlanden ließen sich daraus ebenso anfertigen wie ganze Bäume oder beängstigend aus Eimern und Badewannen hervorquellendes Füllmaterial (beispielsweise 1995 in der Ludwigshafener Galerie Hartmannstraße). Nicht zuletzt fungierte die Dose sozusagen als Maschenelement für Bellmanns Dosenanzüge, in denen er beispielsweise in der Darmstädter Fußgängerzone, in Ludwigshafen oder der Heidelberger Altstadt scheppernd und klackernd die Passanten erstaunte. Die Dose als Chaos-Material schlechthin – Bellmann führte mit solchen Aktionen im öffentlichen Raum auch dem Publikum vor Augen, welche Gebirge an Müll es durch seine gedankenlosen Trinkgewohnheiten produzierte, und insofern ist es nicht falsch, ihn in der Nähe von mahnenden Aktivisten wie Otto Dressler und Bernd Loebach-Hinweiser anzusiedeln. So wie diese beiden Kollegen, erfuhr freilich auch Bellmann, dass nicht alle Leute ihm wohl gesonnen waren, vor allem Getränkehändler empfanden ihn naturgemäß als wenig verkaufsfördernd. In Ludwigshafen wurde ihm gar der Zugang zum Rathaus-Center verwehrt, aber die Stadt Mannheim würdigte ihn 1993 mit dem Umweltpreis und stellte ihm 1996 das mehrstöckige Rathausfoyer für eine nun wirklich raumgreifende Doseninstallation zur Verfügung.
Der Eindruck von ausufernder Fülle, die letztlich auch den Künstler selber fast in den Hintergrund drängt, täuscht aber bei Bellmann. So chaotisch und wuchernd das alles aussah, so systematisch ging er in Wahrheit jedes Mal vor. In einer Publikation über die „Dosenglück“-Performance beschrieb er 1994 penibel deren Zweck und Aufbau, rubriziert als „Arbeiten unter der Verwertungsidee“. In fünf Stationen kam er zum Endergebnis Dosensäule, und das ging so: In nur zwei Jahren, zwischen 1992 und 1994, konnte Bellmann zwischen Mannheim und dem nahen Bruchsal mehr als 10.000 Getränkedosen „der Umwelt entnehmen“ (das viel bekrittelte Dosenpfand gab es damals noch nicht). Und da man seinerzeit bei jedem Gang zu Zeitungskiosk oder Supermarkt platt gefahrenen Coladosen auf der Straße begegnete, machte Bellmann ein Prinzip daraus: In öffentlichen Aktionen legte er 500 bis 1000 Dosen auf den Boden und fuhr mit Autos, Lastwagen oder Straßenwalzen so lange darüber, bis sie alle platt wie ein Teppich waren. Dann wurden sie auseinander genommen, „mittig gelocht“, und zwar „mit einem Locheisen (14 mm) und zwei Hammerschlägen (Fäustling 1,25 kg)“ und mit Wasser abgespült. Letzte Station war dann die „Ständerung“ – die zerquetschten Behältnisse, jedes einzelne auf ganz individuelle Weise platt und beulig, wurden auf einen Eisenstab „aufgefädelt, zusammengedrückt und verschraubt. Ein Ständer trägt dann im Mittel 200 Dosen.“
Auch die Performances, die Dosenmahnwache in Mannheim – alles wurde bis ins Detail vorher geplant und durch Skizzen festgelegt. Von dem Teilstück der Mannheimer Fußgängerzone am Schmettau-Brunnen, wo Bellmann seine Dosengräber und Mahnwache aufbaute, fertigte er zuvor eine maßstabsgetreue Zeichnung: „Dosengrab jeweils 1001 Dosen, Grabgestaltung ca. 10.000 Kronenkorken und Filmdosen“, sogar die scheinbar so simpel aus gepressten Dosen aufgeschichteten Stelen wurden und werden immer noch penibel auf Millimeterpapier entworfen – was so spontan aussieht, ist alles andere als das. Und zu den Vorbereitungen gehören nicht zuletzt auch die Genehmigungen der Kommunen für derartige Auftritte. Wildes Herumscheppern gibt’s nicht bei Bellmann, für mögliche ordnungsdienstliche Platzverweise wäre der Aufwand auch zu groß.
Mittlerweile hat Bellmann zwar die Performances, aber nicht die öffentlichen Präsentationen aufgegeben. Er ist heute über 60, und sein Dosenanzug wog etliche Kilo, allein der Helm aus gepressten Alubehältern drückte mit 10 Kilo aufs Künstlerhaupt. Am Helm waren zudem die Anzug-Dosen befestigt bis hinunter zur „Schleppe“, die Bellmann wie einen Metallschweif hinter sich herzog. Ohne Motorradhelm als Kopfschutz unter der ganzen Pracht wäre es nicht gegangen, gesteht er, und zeigt im Atelier, dass zumindest der Helm inzwischen eine eindrucksvolle Funktion erfüllt als krönender (und ziemlich ausladender) Abschluss eines originellen Garderobenständers. Der ist aus Blecheimern, Deckeln, einer Kuchenform und anderen Fundstücken zusammengesetzt – und erneut hält man auf den ersten Blick das exotische Gebilde für ein in kürzester Zeit gebasteltes Spontanwerk. Stimmt mal wieder nicht! Das schwere Ding steht nicht nur sicher auf einer Holzpalette aus dem Obsthandel, die den Sockel abgibt, sondern wird mit einem durchgehenden Rohr von innen stabilisiert. Von Statik versteht er nun wirklich etwas, der Franz Bellmann, andernfalls würden seine Arbeiten eine Gefahr auch für ihn selber darstellen.
Von den drei Atelierräumen in Mannheim (sein privates Domizil befindet sich in einem Vorort) hat der Baufachmann den Depotraum sogar als kleine Maisonnettewohnung eingerichtet, indem er einen Holzboden einzog, der über eine Leiter zugänglich ist: Oben ist Platz genug für ein Zimmer zum Übernachten, falls es mal spät wird bei ihm, unten stapeln sich derweil seine Bilder. Wenn man seine Schöpfungen so überblickt, fragt man sich schon mal, wie man den Mann einordnen soll. Performancekünstler? Bildhauer? Maler? Zeichner? Sammler? Denkt er nun eher zwei- oder eher dreidimensional? Hat er ein Händchen eher für Farben als für plastisches Material? Ist er mehr Hand- als Kopfarbeiter? Ach, man gibt es bald auf – Franz Bellmann, das ist ein Kosmos an Kreativitäet, etwas Ungebremstes, Wucherndes, Drängendes, ständig Probierenmüssendes ist in ihm drin und um ihn herum, und wer sich in diesem Dschungel aus Mythen, Präzision und forschendem Austesten nicht zurechtfindet, ist eigentlich nur durch eigenes Unvermögen daran schuld.
In einer Ecke am Fenster erhebt sich eine ebenso schmale wie scheinbar fragile Säulchengruppe aus geschichteten Kronenkorken, etwa zwei Meter hoch! Man wagt zwar kaum zu atmen davor, aber alles ist fest und zudem mit einer durchsichtigen Schicht überzogen. Im Raum nebenan, gegenüber dem helmgekrönten „Garderobenständer“, eine mehr als mannshohe, gespaltene Holzskulptur, die sich als Baum aus dem Pfälzerwald entpuppt: Bellmann, von Fundstücken stets fasziniert, fand das bereits abgestorbene Holz so ausdrucksvoll, dass er es ins Atelier schleppte und so bearbeitete, dass es zur abstrakten Skulptur wurde, aber seinen urwüchsigen Charakter behielt.
Bilder ringsherum: manche mit dermaßen pastos aufgetragenen Farben, dass man sie eigentlich als Reliefs bezeichnen müsste, andere Malwerke dagegen fein und luzid. Figuren „kann“ er ebenso flott wie völlig freie Kompositionen. Porträts? Kein Problem. Ein paar kantige, höchst expressive Gesichter seien, so Bellmann, aber nur „Fantasieporträts“. Große Gemälde, in denen undefinierbare Mythen wabern, wechseln mit wunderbar dichten, abstrakten kleinen Ölarbeiten auf Papier. Hingucker sind auch Kompositionen aus Tropf- und Kleckerbahnen, Bilder, die an Jackson Pollocks „Drippings“ erinnern. Bei Bellmann sind sie Ergebnis von Schleuderprozessen, er wollte mal ausprobieren, was dabei heraus käme. Die großen Materialbilder aus farbüberschütteten Dosen, Drähten, Eimern, Hufeisen, Zahnbürsten, Schulterpolstern, Blumenkübelrädern, Muscheln und werweißwasnoch – sie sind im Grunde Boden- und Liegebilder, wenn sie sich dem Blick angemessen präsentieren sollen. Chaotisch? Wer mit Distanz hinsieht, erkennt klassisch quadratische Grundstrukturen, in einem Fall stoßen vier imaginäre Quadrate mit den Spitzen in der Bildmitte aneinander, so dass sich sternförmig ausdehnende Straßenschneisen in das Sammelsurium eingegraben haben. Quadrate? Straßen? Natürlich, gelernte Bautechnik prägt doch!
Rätselhaft und erstaunlich karg muten dagegen kleine Papierarbeiten an mit jeweils einer etwas kopflastigen Figur aus Konturlinien. Was ist das? Was bedeutet es? „Ach, nur so“, sagt Bellmann. „Gucken Sie mal, so geht das,“ und er holt einen Bleistift, spitzt ihn ordentlich lang an, bricht die Spitze ab und reibt das Graphitstückchen mit der Fingerkuppe in unterschiedlich festem Druck über ein Papier: wieder eine kleine Figur, das geht in ein paar Sekunden. Wenn er dann noch partiell Titanweißpaste drüberlegt und mit einem Japanspachtel zieht, ist die Mischung aus Intensität und Distanz perfekt. Aber mit so kleinformatigen Minutenübungen will Bellmann sich nicht immer befassen, er denkt schon wieder in ganz großen Dimensionen.
Mannheim am Neckarufer! Anfang Oktober 2007 richtet Bellmann in Höhe des Collini-Centers einen Skulpturenweg von zweieinhalb Kilometern Länge ein bis hin zur Feudenheimer Brücke. 23 Skulpturen aus (unter anderem) Dosen akzentuieren die Uferlandschaft bis mindestens Anfang Februar 2008, die Genehmigung der zuständigen Behörden hat er ordnungsgemäß eingeholt. 16 Arbeiten sind auf 4 Meter hohen Baumstümpfen montiert, manche gar zu zweit auf einem Stumpf, und einige Arbeiten sind zudem sehr schmal und lang. Bellmann: „Die schwanken natürlich!“, denn am Wasser kann es immer mal windig werden, noch dazu in der Herbst-/Wintersaison. „Das geht nur mit einem Sicherungsseil,“ erklärt er. Aber passieren kann eigentlich gar nichts, denn seine Konstruktionszeichnungen sind alle so präzise ausgearbeitet, dass man sich wundert, wie nüchtern und rational er die Fülle des Materials und seiner eigenen Fantasie in Schach hält. Zwischen Kalkül und Uferlosigkeit scheint der Mann permanent eine innere Waage zu halten. Es gibt ja nicht so viele Leute, die das hinkriegen.
Info:
– Skulpturenweg am Mannheimer Neckarufer (zwischen Collini-Center und Feudenheimer Brücke) von Anfang Oktober 2007 bis Anfang Februar 2008
– Atelier in 68159 Mannheim², H 7, 24, Tel. 0621-3974 9958