Das kam heute (05. März 2014) etwas plötzlich, hatte nichts vor, leicht bewölkter blauer Himmel, fast 10°Celsius, Regenwahrscheinlichkeit nahe null Prozent, also trocken. In knapp 20 Minuten schafft es die Regional-Verbindung der Bahn von Mannheim² über Lampertheim nach Biblis. Der Ort ruft nicht. Das Kern-, oder anders: Atomkraftwerk, rief.
Als kleiner Hanswurst, für den wir uns natürlich nicht halten, fehlt einem klaro die Zugangsgenehmigung zum Innern des Kraftwerks. Da drin liessen sich mit Sicherheit gewaltige Aufnahmen produzieren, kennen wir doch Mühlheim-Kärlich und den inneren Zustand der Anlage während der Bauphase. Also beschränken wir uns zwangsläufig auf Außenaufnahmen. Sinnvoll erscheint es uns: auf den Betreiber aufmerksam zu machen, siehe Startfoto links oben! Dem Stromkonzern soll es dem Vernehmen nach zurzeit ja nicht allzu gut gehen. Scheffelten die Werksherren nicht jahrelang genug der Knete mit der Erzeugung von Strom durch Atomenergie: Hat man da keine Rücklagen gebildet, um Durststrecken zu überwinden? Was zum Beispiel muss vorhanden sein zum Rückbau der Kraftanlagen? Der kommt zwangsläufig. Ist man darauf vorbereitet? Lässt man einfach alles stehen? Wie sieht es denn in anderen Ländern aus? Die nicht auf diese Art der Energiegewinnung verzichten wollen?
Die Aufnahme eingangs bildet ein Firmenwappen ab, Wappen: auf die auch Städte nicht unbedingt verzichten wollen. Im Fall von Eberbach meinetwegen ein Eber und ein sich schlängelnder Bach oder Fluss. Logos überholen sich mit der Zeit. Und man versucht sich neu abzubilden. Meistens ist das eh nur Einbildung, zumindest eine gewisse Zeit über. Und dann weg damit. Freie Fahrt für eine neue Einbildung! Der Sprachschatz bietet einiges: Atom-, dann Kern-, und weg damit. Hätten nicht bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert die Energievorstellungen mit all den vorhandenen Alternativen bevorzugt behandelt werden müssen, statt auf Meiler zu setzen? Manchmal stehen Energiebündel wie Franz Josef im Weg. Und zwei, drei Generationen weiter wird die Rechnung präsentiert: Und keiner will sie übernehmen.
Biblis: eine Ansicht:
Es ist das erste Mal, dass ich Biblis zu Gesicht bekomme, obwohl es nicht sehr weit von Mannheim entfernt ist. Eigentlich ein atomarer Katzensprung. Ein Gefühl der Unendlichkeit stellt sich ein. Bin ich nur die Hälfte wert? Katastrophal! Diese Verringerung der Lebenserwartung um die Hälfte! Alles um das Atomkraftwerk herum ist in Besitz von RWE: Betriebsgelände! Auch der Rhein gehört dem Betreiber. Eine Ausnahme: Der Europa-Radweg R6…Der Radweg radelt ums Werk herum. Eine Einladung zur Besichtigung, ohne Interna: Aber Vorsicht, die erste Grassode bereits ist Privatbesitz. Und Überwachung überall. Das Gelände ist ein Reich aus der Vergangenheit, aus dem Mittelalter der Energieerzeugung und -versorgung.
Vorher gab’s nur Lagerfeuer. Jetzt zeugen wir Burgen der Neuzeit. Wie werden sie über die Jahrzehnte und Jahrhunderte zerfallen? Keiner von uns wird es erleben, keiner schauen in die Welt danach. Uns bleibt die Vorstellung: Sciencefiction. Virtueller Avatar.
Die atomare Welt ist eine Welt der Gewalt. Spricht sie doch von Spaltung. Was für ein Fortschritt. Atomspaltung. Physik. Marie. Krebs. Körperfraß. Je größer die Halbwertszeit, je größer das Fressen. Plutoniums Hunger ist unstillbar. Auf alle Ewigkeit. Immerdar.
Der Weg von Biblis / Bahnhof zum Werk führt über freies Gelände. Man unterquert zunächst die Station der Regionalzüge und erreicht bald den Mersweg. Dann nur noch Ackerbau und Viehzucht. Ein kleines Naturschutzgebiet: Lochwiesen von Biblis. Es soll bedrohte Tier- und Pflanzenarten und ihre Lebensräume erhalten. Die Weschnitz ganz in der Nähe. Am Atomkraftwerk mündet sie in den Rhein. Dort läuft auch das Kühlwasser aus (Mörschgraben). Ein donnernder Überlauf, der das leise Sirren der Anlage verschwinden lässt. Für einen Moment wähnt man sich vor einem rauschenden Wasserfall. Am Sambesi. Machen wir uns nichts vor: Der Überlauf beträgt grade mal drei Meter, höchstens; und ist ein bautechnisches Kunstprodukt. Die Strömung allerseits lebensbedrohlich. Und Eltern haften für ihre Kinder. Nicht umgekehrt.
In diesem Bereich des Radwanderweges R6 ist der Spass verflogen: Keine Zugangserlaubnis zum Rhein, obwohl greifbar nahe. Dafür liegt reichlich Dreck herum. Das stört den Kraftwerksbetreiber wenig. Die Pflege der umliegenden Landschaft ist wohl nicht sein Ding. Da tritt man am besten kräftig in die Pedale. Keine Menschenseele zu sehen. Für Radwanderungen ist es noch zu früh im Jahr. Zum Herumspazieren liegt der Ort zu weit weg, dort treffen sich die Hundebesitzer, nicht am Kraftwerkszaun. Ein Reh hupst auf dem Betriebsgelände herum. Es flieht vor dem unerwarteten Radler.
Wir zuckeln weiter, Stück für Stück, kaum sitzen wir im Sattel, bietet der Meiler seine technischen Raffinessen. Runter vom Sitz, Foto in die Gänge gebracht und geknipst:
Der Energieriese versinkt, je mehr Abstand sich einstellt. Der R6 ist gut ausgebaut, asphaltiert, wie wir zuvor erfuhren. Vom Norden Hessens nach Lampertheim. Wir nehmen die Schlussstrecke des Fernweges, ca. 15 km. Ums Kraftwerk zieht der R6 einen Kreis: Für Super-Neugierige. Das lassen wir besser, wir haben genug, es reicht, wir wollen in die pure Natur und darin die nukleare Technik vergessen. Das klappt ja soweit ganz gut: Ein Hinweis auf Gott überrascht uns nämlich (angebracht auf der Rückseite eines Verkehrsschildes, Foto rechts). Ab hier geht’s in den Bannes, wir fahren auf der Deichkrone, am Fuß der betonierte R6. Wir brauchen Überblick und Sicht, freie Sicht auf Vater Rhein. Reiten und motorisiertes Fahren ist oben verboten. Nicht lange und wir gelangen zur letzten Brücke über die Weschnitz.
Zwei geschwätzige Angler halten mich auf. Sie suchen ihr Angelrevier. Immerhin präsentiert man mir einen Angelberechtigungsschein. Als wäre ich der Freischütz von Weschnitz. Für ein Areal längs der Weschnitz. Ich bestätige ihnen: hier liegen sie richtig, hier dürfen sie angeln. Habe keine Ahnung vom Angeln und ob es in der Weschnitz überhaupt was zu angeln gibt. Dafür entdecke ich einen Wassergüteprüfer (rechts, aus HB, Hanse-Stadt-Bremen, KFZ-Kennzeichen(?)) unter der letzten Brücke über die Weschnitz. Das muss natürlich sofort aufgenommen werden. Befragt habe ich ihn allerdings nicht. Diese verdammt geschwätzigen Angler lenkten mich zu sehr ab. Und ich ließ mich ablenken, da half nur eins: weiter radeln. Einem triefte die Nase, ich gab ihm ein Papiertaschentuch. Vielleicht hätte ich ihn doch portraitieren sollen, mit der laufenden Nase, das fiel mir zu spät ein. Beide schienen mir ein bisschen daneben zu sein. Wieso suchen Angler ihr Angelrevier? Neuankömmlinge? Ich fragte nicht nach.
Die letzte Brücke über die Weschnitz ist Luftlinie circa 1700 m von Zentrum der Atomkraftanlage entfernt. Im Steiner Wald. Der liegt auf der Gemarkung von Nordheim: Steiner Wald von Nordheim. Keine 300 m weiter treffen wir auf einen Graben ohne Wasser. Und ein Wehr. Und eine Hütte. Einsame Gegend, wie geschaffen für einen Märchenfilm.
Kurz danach entdecken wir einen Pfad, der Richtung Rhein führt, ihm folgen wir, es ist matschig, was uns wenig stört und machen am befestigten Ufer eine Panorama-Aufnahme vom Fluss:
Der Fluss: Unser Rhein, unsere Wasserstrasse, unser gereinigtes Abwasser, unsere Lebensader…
Unsere Heimat am Fluss:
Vier Bilder vom gleichen Gehöft in unserer Heimat, Bild 1: Steht eine Explosion bevor…??? Bild 2: Papamobil…??? Bild 3: Noch leben wir…!!! Bild 4: Ausrangierte Autoreifen für die Landwirtschaft…!!!
Irgendwann muss Schluss sein mit Geschreibsel. Wir radeln kurz vor Lampertheim und heruntergekommene Landwirtschaft begleitet uns allenthalben. Da kommen wir doch noch am Reichtum vorbei: Was für ein Glück!!!
Wir lassen es gut sein. Mögen WIR verschont bleiben von Unbill unkontrollierter Kettenreaktionen, die unbeherrschbar……………………………………..