Reisen ins Umland: LAUTERBOURG / Le Centre de la Ville / FRANCE

Nun, irgendwie gefiel uns das Städtchen; noch nie in unserer langen Geschichte über die Fahrten ins Umland begannen wir mit der wenn auch kurzen Beschreibung der Station. Der Station der Ankunft. Wenn wir Knete hätten, die wir natürlich nicht besitzen, würden wir uns hier ansiedeln. Altersruhesitz. Für die letzten paar Jahre, für den meist schäbigen Rest der Existenz. Der ist ja weit verbreitet. Was für ein Jammertal, für die Individualisten nicht nachvollziehbar. Bis es soweit ist, bis das Alter gnadenlos zuschlägt, und die Sünden des Lebens präsentiert. Der Bahnhof von Lauterbourg beging keine Sünden, er verlebte seine Zeit und ist nun wie er ist: einfach und schön.

Der Weg ins Örtchen gestaltet sich modern. Neue Strassen, frisch asphaltiert, Rad- und Gehwege in klarer Form und Kennzeichnung, man findet sich zurecht, der Ort ist das Zentrum, das Zentrum der Ort. Mal abgesehen von Neubaugebieten, Speckgürteln und Industrieansiedlungen. Das Zentrum: nicht so ausgeprägt mittelalterlich wie in Wissembourg; Lauterbourg eher Nebenort; wie er in Grossstädten in reduzierter Form ebenfalls zu entdecken ist: Bei sog. Tagen der offenen Tür. Im Nordosten Frankreich (Nordelsass) bleiben die Türen immer geöffnet, da bedarf es keiner einmalig-jährlichen Verwaltungsaktion.

Landauer Tor aus der Mitte des 13. Jahrhunderts
Landauer Tor aus der Mitte des 13. Jahrhunderts
Bemalte Fassade
Bemalte Fassade

Als erste Sehenswürdigkeit sticht uns der Unterturm – Landauer Tor in die Linse, da radelten wir hin: TOUR DU BAS – PORTE DE LANDAU. Hier im Blog bieten wir das wahrscheinlich tausendste Foto, vielleicht vergleichsweise aus einer gering differenzierten Aufnahmeposition, was es veröffentlichungswert macht. Oben im Giebel die Sonnenfigur verweist auf Ludwig den XIV, als Sonnenkönig (Roi Soleil) bekannt. Keine fünfzig Meter vom Tor (Turm) entfernt eine Fassadenbemalung in der Rue Vauban→. Möge jeder / jede darüber denken wie er / sie will. Immerhin. Fassade als Leinwand. Das trägt bereits grossstädtische Züge. Wir erkundigten uns nicht weiter über das Wer, Was, Wie und Warum an und in diesem Haus, mögen es andere tun oder es sein lassen.

Eine weit gewichtigere, sprich bedeutendere Gestaltung einer Hauswand zeigt sich in der Nähe der ehemaligen Königlichen Stallungen. Wir präsentieren das Kunstwerk im Öffentlichen Raum im Grossformat, weil es geschichtsträchtige Informationen wiedergibt↓:

Blick eines französischen Künstlers auf die Wehrhaftigkeit seines Landes
Blick eines französischen Künstlers auf die Wehrhaftigkeit seines Landes

Das ist schon der Hammer, im neuzeitlichen Sprachgebrauch. Den Hammer schwingt ein älterer Herr, der in einem angrenzenden Anwesen seine Wohnung hat. Mit blutroten Äderchen seines fast schon biblischen Gesichts spricht er von der Vergangenheit. Von der Vergangenheit der Auflösung der Welt. Von der Evakuierung. Binnen einer Stunde musste Lauterbourg dem Feind überlassen werden. Die Deutschen, nein, Hitler und seine Handlanger und Kriegstreiber schliffen die Länder und Regionen. Flieh Franzose, flieh, bevor die Feuerwalze Dir den Garaus macht. Der alte, feine Herr kennt die Geschichte des dargestellten Turms. Er wurde von den zurückweichenden Truppen des Hitler-Regimes gesprengt. Ich sagte geschliffen, er, der Weltkriegsteilnehmer (Résistance?): »gesprengt«. Was wurde nicht alles im Zuge der Niederlage noch vernichtet. Die endgültige Verdeutlichung der Sinnlosigkeit menschlicher Verhaltensweisen. Er, der Herr über die erlebten Gräuel, er kannte den Turm, er kennt den Schutthaufen des Turms, wie er sich wahrscheinlich lange Zeiten über täglich in seinen Erinnerungen aufsprengte. Er, der alte Mann, damals 45: siebzehn Jahre alt, habe seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben, für die Nachkommen. Er nähme sie nicht mit ins Grab, zu seinen Lebzeiten keine Veröffentlichungen, später, später… Vielleicht. Die Familie und das Schicksal mögen darüber befinden. Der Schöpfer – der einem Denkmal nahekommenden Fassadenkunst – sei ein französischer Marineoffizier gewesen. Das sprach er als Schlusswort. Dann stieg er in seinen R4 und parkte ihn auf seinem nahen Grundstück.